Dass das neue Regime nichts Gutes für ihn bereit hält, spürt der Jude Victor Klemperer von Beginn an.

„Im nächsten Semester wird die Leere des Hörsaals noch gähnender werden. Man würgt immer mehr ab.“ (Klemperer, 21. Februar 1933, nachmittags)

So schreibt Klemperer am 21. Februar 1933 in sein Tagebuch. Ab dem 10. März beginnt er, um seine Stelle zu fürchten. Nicht zu unrecht, denn am 20. März erwähnt er Berufsverbote für jüdische Anwälte in Breslau. Wohlgemerkt: Dies alles vollzieht sich bevor sich im Reichstag die Hände zur Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz heben werden.

Am 10. April kommentiert Klemperer das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums:

„Diese entsetzliche Stimmung des ‚Hurra, ich lebe‘. Das neue Beamten-‚Gesetz‘ lässt mich als Frontkämpfer im Amt – wahrscheinlich wenigstens und vorläufig… Aber ringsum Hetze, Elend, zitternde Angst.“ (Klemperer, 10. April 1933)

Auch hier fällt auf, dass die eigentliche Ungeheuerlichkeit des Gesetzes, der pauschale Ausschluss aller „Nichtarier“ von der Beamtenlaufbahn, keine Erwähnung findet. Die Opfer, so könnte man schließen, haben sich in den neuen Staat ebenso schnell gefügt wie die Täter oder die Mitläufer.

Schilderungen von Ungerechtigkeiten (Pogrome, Boykotte) lassen allerdings ahnen, welche Angst im Reich geherrscht haben muss. So beobachtet Klemperer bereits im Juli 1933 etwas, das er als „Emigranten-Mentalitä“ bezeichnet. Die Judengesetze zeichnen sich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ab.

Drei Wochen später schreibt das Regime in deutschen Amtsstuben den Hitler-Gruß vor. Klemperer erwähnt ihn zum ersten Mal am 20. Juli 1933, beschreibt aber schon am 28. Juli, dass sich der neue Gruß zumindest in den Amtsstuben schon weitgehend durchgesetzt hat. Wer die Hand nicht zum Hitler-Gruß hebt, gerät in Verdacht, die neuen Herren abzulehnen.

Die Angst ist groß, als Regimekritiker zu gelten. Am 10. August 1933 erwähnt auch Klemperer Geschichten über Leute, die in Konzentrationslagern misshandelt wurden. Natürlich müssen die Freigelassenen Stillschweigen versprechen. Andererseits lebt das System von der Indikretion: Die Angst vor ihren Druckmitteln liegt schließlich im Wesen jeder Diktatur. Deshalb lässt das Regime auch ganz offensichtlich die Muskeln spielen. Am 28. Juli berichtet Klemperer von einer „Fahndung auf staatsfeindliche Kuriere und Druckschriften in ganz Deutschland“, die für 40 Minuten den gesamten Reiseverkehr lahmlegt.

Auch die Steuern und Abgaben avancieren von demokratische legitimierten Abgaben zur Instandhaltung der Institutionen und Dienstleistungen zu willkürlichen Schicksalsschlägen:

„Mein zusammengeschrumpftes Gehalt erleidet neuerdings ‚freiwillige‘ Abzüge. ‚Winterhilfe‘, ‚Nationale Arbeit‘ 1 Prozent vom Gesamteinkommen, 10 Prozent von der Einkommensteuer – das wird so festgesetzt. (…) Wer wagt Widerspruch?“ (Klemperer, Montag, 23. Oktober 1933)