Stellen wir uns den Finanzmarkt in der Krise als einen Mann mit einer Blinddarmentzündung vor. Einen ungebildeten Mann zu einer Zeit, in der Blinddärme und Blinddarmentzündungen unbekannt waren. Um die Leibschmerzen loszuwerden, greift er auf ein bewährtes altes Hausmittel zurück: das Klistier. Er verabreicht sich Einlauf um Einlauf. Dennoch bleibt das Bauchweh.

Die Europäische Zentralbank (EZB) verpasst den europäischen Finanzmärkten Zinssenkung um Zinssenkung – und das hilft in der gegenwärtigen Krise soviel wie ein Einlauf bei Blinddarmentzündung. Der Leitzins im Euro-Währungsraum hat gestern mit 1,5 Prozent einen neuen Tiefststand erreicht. Ein überflüssiger Schritt, denn in der Krise sind Banken auch nur Menschen.

Gemeint ist jener Zinssatz, zu dem sich Banken im Euro-Raum Geld bei der EZB leihen können. Wenn sie das so billig tun können wie augenblicklich, dann können sie auch günstige Kredite an Unternehmen und Privathaushalte vergeben. Das fördert Investitionen und den privaten Konsum. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass auch die Zinsen für Geldanlagen sinken. Das bedeutet, dass es sich immer weniger lohnt, Geld auf Konten zu horten.

Die Praxis sieht anders aus. Schon die letzten Zinssenkungen der EZB haben das Zinsniveau zumindest für private Ratenkredite kaum sinken lassen. Vor vier Jahren habe ich einen Kredit über vir Jahre Laufzeit bei der Kasseler Sparkasse abgeschlossen. Effektiver Jahreszins: 6 Prozent. Heute weist der Kredit-Rechner des Finanzportals www.banktip.de für einen solchen Kredit einen Zinssatz von mindestens 5,19 Prozent aus. Billig sieht anders aus.

Die Theorie setzt etwas entscheidendes voraus: Banken haben ein Interesse daran, soviel Geld wie möglich zu verleihen, weil sie an den Zinsen verdienen.Genau diese Voraussetzung trifft während der Krise nicht zu. In der derzeitigen Krise denkt jeder zunächst an sich – auch die Banken: Sie horten Eigenkapital. Schließlich weiß man ja nie, welche Bank als nächste zusammenbricht, die dann wieder Kreditausfälle bei anderen Banken verursacht. Die größte Gefahr für die Kreditinstitute geht nicht von zu zögerlicher Kreditvergabe aus, sondern von Kreditausfällen.

Das zwingt Regierungen, sehr viel stärker in das Tagesgeschäft der Banken eingreifen als ihnen lieb ist. Denn der viel beschworene freie Markt droht an der Krise zu scheitern. Die Finanzmärkte brauchen mehr als einen Einlauf.