Diese Geschichte erzählen Verlage und Medienkonzerne gern: Der Gigant der deutschen Literatur, Johann Wolfgang von Goethe, hat erst in späten Jahren Einkünfte aus seinem Werk ziehen können. Als er seinen Werther schrieb, verbreitete dieser erste Bestseller des Dichterfürsten sich in Gestalt von Raubdrucken. Erst später setzte dem ein durchsetzbares Urheberrecht ein Ende. Da leuchtet jedem doch sofort ein, dass wir ein Urheberrecht brauchen, oder? Wer wollte Goethe – oder seinen heutigen Nachfolgern – wohl ihren gerechten Lohn vorenthalten?
Ließ der Mammon Goethe und Shakespeare zur Feder greifen?
Wir brauchen doch ein Urheberrecht, denn welcher Anreiz bestünde sonst, zu schreiben? Dabei scheinen Schriftsteller weit weniger materialistisch zu sein als uns die Verlage glauben machen wollen. Denn als Goethe zu schreiben begann, konnte er nicht davon aus gehen, einmal seinen Lebensunterhalt damit bestreiten zu können. Es war also offenbar nicht die Aussicht auf regelmäßige Tantiemeneinkünfte, die Goethe zur Feder greifen ließ. Das zeigt die Geschichte.
Es kann auch nicht der Mammon gewesen sein, der Lessing, Decartes oder Shakespeare an den Schreibtisch trieb. Denn gab es in Goethes Jugend kein Urheberrecht, dürfen wir annehmen, dass dies auch früher nicht bekannt war. Trotzdem entstanden in dieser Zeit bahnbrechende literarische Werke. Apropos Urheberrecht: Bis heute verehren wir Shakespeare, obwohl wir nicht genau wissen, ob der seine Werke selbst geschrieben hat.
Dem Urheberrecht verdanken wir Dan Brown und Frank Schätzing
Wir könnten sagen: Das Urheberrecht hat mit Goethe oder Shakespeare nichts zu tun. Das Urheberrecht hat uns dafür Dan Brown und Frank Schätzing beschert. Autoren, die viele von uns schätzen. Aber wenn sie nicht geschrieben hätten, wäre es auch nicht schlimm gewesen. Die Fakten deuten darauf hin, dass Kunst kein Urheberrecht braucht. Es ist das Geschäft, das eins braucht. Daran hat sich über die Jahrhunderte nichts geändert.
Wir dürfen getrost davon ausgehen, dass ein Günther Grass auch geschrieben hätte, wenn es kein Urheberrecht gäbe – vielleicht ein paar Bücher weniger. Schön für ihn, dass es das Urheberrecht gibt und der greise Dichter im heimatlichen Lehnstuhl über neuen Geschichten sinnieren kann, ohne sein Brot als Nachtwächter oder Sozialrentner fristen zu müssen. Und ganz sicher hat das Urheberrecht vielen guten Autoren die Enscheidung für das Schreiben leichter gemacht, die sonst lieber „etwas Solides“ angefangen hätten.
Das Urheberrecht macht Literatur teuer
Aber in der Literatur führt das Urheberrecht eben – auch – dazu, dass uns Schund für Kunst verkauft wird. Noch etwas bewirkt das Urheberrecht: Es macht Literatur teuer. Zurück zu Goethe. Hätte sich Goethes Werther so stark verbreitet, wenn er nur zur Buchpreisbindung erhältlich gewesen wäre? Wir sprechen von jenem Werk, das dem Dichter den Weg an den Weimarer Fürstenhof und zu einem sorgenfreien Leben geebnet hat. Wäre es ein Bestseller geworden? Wohl kaum.
In vorindustriellen Zeiten war ein Buch ohnehin ein elitäres Vergnügen. Wenn ein Verlag allein den Daumen auf dem Buch gehabt hätte, wäre es noch weniger Leuten vorbehalten geblieben, es zu lesen. Das Urheberrecht begrenzt die Verbreitung von Kunst und Ideen. Das ist eine unabweisbare Tatsache. Eine, der wir uns auch heute noch stellen müssen. Wir wollen, dass unsere Kinder die Klassiker lesen. Die kosten aber Geld, und im Wertesystem der Jugendlichen muss sich Goethe mit einem Platz weit hinter Handy und Musik begnügen.
Wieviel Urheberrecht verträgt Qualität?
Wie müsste also ein Urheberrecht 2.0 in der Literatur aussehen? Der Streit darum hat gerade erst begonnen. Das Problem: Wir müssen unterscheiden zwischen den Interessen der Literaten und denen der Verlage. Über ein Urheberrecht für geistiges Eigentum können wir diskutieren, über eine Bestandsgarantie für Geschäfts- und Vertriebsmodelle nicht.
Das Internet bietet Autoren völlig neue Möglichkeiten, Leser zu finden. Nur wenige können davon leben. Müssen sie das? Vergessen wir nicht: Den Debut-Roman schreibt jeder Schriftsteller nebenbei. Das Ende des Urheberrechts wäre wohl das Ende von Literaturidolen wie wir sie verehren seit es ein Urheberrecht gibt. Goethe, Thomas Mann, Heinz G. Konsalik. Wieviel Urheberrecht verträgt Qualität?
Abb.: Johann Wolfgang von Goethe im 70. Lebensjahr, gemalt 1828 von Joseph Karl Stieler. Foto: Wiki Commons
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