Die Grünen sind die ungeliebte Zwillingsschwester der FDP. Individulismus steht auch bei Bündnis90/Die Grünen ganz oben auf der Agenda. Aber wo die FDP immer noch mit grenzenlosen Bereicherungsmöglichkeiten um mittelständische Unternehmer wirbt, wo ihr der Mitmensch entweder Nahrungskonkurrent oder Schmarotzer ist, da hat sich bei den Bündnisgrünen ein vielschichtigeres Menschenbild geformt.
Im Osten fremd
Kein Wunder: Hat die FDP seit dem Schritt in die sozialliberale Koalition 1969 keine neuen Wählerschichten an sich gebunden, hat die Sonnenblumenpartei alle neuen sozialen Bewegungen abgegrast: Umweltschutzbewegung, Emanzipationsbewegung,Friedensbewegung, Anti-Atomkraftbewegung und nicht zuletzt die Bürgerrechtspartei Bündnis 90.
Dieses Bündnis 90 steht dem gewohnten Grün heute wie ein Stolperstein vor den Füßen. Richtig angekommen im Osten sind die Grünen nie. Den Ossis sind schlicht die Themen egal: Kernkraft, Umweltschutz, blah, blah. Dabei haben sie viel für den Osten getan – indirekt. Die Hochburgen für die alternativen Energietechnologien liegen im Osten. In Brandenburg, Sachsen-Anahlt und Sachsen. In den alten Industrierevieren der ehemaligen DDR traut man weder der alternativen Energie noch der alternativen Partei. Hinzu kommt, dass die Grünen eine Partei der Eierköpfe, der Intellektuellen sind. Die sind jedoch schon zum Studium abgewandert.
Materialismus vs. Selbstverwirklichung
Definiert die FDP einen einseitig materialistischen Individualismus (Hinweg mit allem, das uns am Kohle machen hindert), vertreten die Grünen einen kreativen Individualismus, der nach persönlicher Selbstverwirklichung strebt, der aber auch um das Risiko des Scheiterns weiß und der aus dem Grund gern stabile soziale Netze bewahrt.
Wenn die FDP die Partei der Häuslebauer ist, dann sind die Grünen der aufmüpfige Sohn, der vom Leben mehr erwartet als ein dickes Konto und der sich mittlerweile längst selbst im Eigenheim wiedergefunden hat. Die Grünen sind quasi die FDP 2.0.
Sonnenblume mit Einschusslöchern
Sie sind als die erste und bisher einzige postmaterialistische Partei im Deutschen Bundestag gestartet. Das hat ihnen lange geschadet. Denn für Konservative, Liberale und Sozialdemokraten stand und steht gleichermaßen fest, dass sich Wohlergehen nur in Mark und Euro bemisst.
Man hat die Grünen als Träumer und Spinner geschmäht. Doch sie lernten schnell. Vielleicht zu schnell, denn spätestens mit dem „Ja“ zum Afghanistan-Einsatz hat die knuffelige Sonnenblume ein paar sehr hässliche Einschusslöcher bekommen. Die Friedensbewegung ist die einzige Bewegung, die die Grünen in großen Teilen wieder verloren haben – an die Linkspartei.
Als Partei der Lehrer und Beamten haben die Bündnisgrünen längst in die Bürgerlichkeit gefunden. Mülltrennung, Stromsparen und Biolandwirtschaft haben sie in der Gesellschaft etabliert. Und genau das ist ihre Hypothek. Die Bündnisgrünen sind die Partei der Birkenstockträger, der Weichgespülten, der Mülltonnenspitzel. Sie sind im der Wertekanon der Jungwähler: irgendwie schwul.
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