Ein verrücktes Jahr geht zu Ende. Ein Jahr, das die Frontverläufe in vielen Konflikten verändert hat.
Das offensichtlichste Beispiel ist die deutsche Politik. Die große Koalition könne einfach so durchregieren, hatten die Politologen orakelt. Und das stimmt, was die parlamentarische Opposition angeht. Die kleinen Drei reagieren auf alle Aktionen der großen Zwei schematisch: Die FDP fordert gebetsmühlenartig Steuersenkungen und die Abschaffung des Kündigungsschutzes. Die neue alte Linke hält mit abgedroschenen Arbeiterliedern dagegen. Besonders ärgerlich finde ich die Grünen: Da lassen ein paar deutsche Soldaten Dampf ab, posieren mit Totenschädeln und die Partei, die nach Fischers Abgang nur noch die von Ströbele ist, fordert reflexartig den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Da wird ein brutaler Diktator hingerichtet, und die Grünen reagieren angewidert, weil sie finden: „Du, die Todesstrafe ist per se Scheiße!“
Die stärkste Oppositionspartei sind die Unionsministerpräsidenten. Sie haben sich bei der Föderalismusreform die Taschen mit neuen Rechten gefüllt. Nun gibt es kein Vorhaben der Bundesregierung mehr, das die schwarzen Länderfürsten einfach passieren lassen. Bei Bayerns Edmund Stoiber steht dahinter der Groll, dass die Geschichte ihn nicht selbst auf den Chefsessel geschwemmt hat. Hessens Roland Koch, Niedersachsens Christian Wulff und Saarlands Peter Müller machen sich selbst Hoffnung auf Angela Merkels Stuhl. Sie blockieren einfach alles, bis die Kanzlerin aufgibt, um dann wie Zorro aus der Provinz aufzutauchen und die festgefahrene Republik wieder flott zu machen.
Trotzdem brummt zum Jahresende die Wirtschaft und ein Ende soll nach den Wirtschaftsweisen auch nicht in Sicht sein. Die Deutschen ziehen mit, kämen aber wahrscheinlich im Leben nicht auf die Idee, die Schuld am neuen Boom der Bundesregierung zu geben. Das ist richtig: Im Zuge der Föderalismusreform hat sich die – nennen wir sie noch einmal in diesem Jahr so – Bundesregierung fast aller innenpolitischer Gestaltungsmöglichkeiten beraubt. Einzig die Währungshoheit ist Berlin geblieben – und: die innere Sicherheit. So rollt Wolfgang Schäuble heute wie vor ihm Otto Schily als Terroristenschreck durch die Lande. Vordergründig liefert ein missglückter Bombenanschlag auf zwei Regionalzüge gute Argumente für die Terrorwarnungen. Das Problem: Die beiden Attentäter sind völlig unscheinbare Kreaturen, wie sie zu 80 Millionen in diesem Land krauchen. Das hält den wackeren Schäuble nicht davon ab, sämtliche Rechte auf Privatsphäre zu kippen.
Wenden wir uns erfreulichen Themen zu: der neuen Volksrepublik im Internet. Ein Hobbyfilmer hat in diesem Jahr einige abfällige Äußerungen bei Youtube eingestellt. Bis zu 10.000 Zugriffe soll das Filmchen pro Tag gebracht haben. Ein Beispiel für das so genannte Web 2.0, das Mitmachinternet. Keine Zeitung, die nicht auf ihrer Internetseite dem Dialog mit Surfern und Lesern breiuten Raum einräumt. Die Bildzeitung geht sogar noch weiter. 500 Euro bekommt man dort für ein besonders spektakuläres Foto. Seither müssen die Rettungsdienste sich durch Trauben von Handyknipsern zum Unfallort vorkämpfen. All diese Entwicklungen haben schon 2005 begonnen. 2006 haben sie sich wie erwartet fortgesetzt.
Eine kleine Revolution hat sich für freie Software und Linux ereignet. Computerzeitschriften wie C’T veröffentlichten öfter Workshops für digitale Bildbearbeitung, die das freie Programm Gimp als Grundlage nahmen, nicht mehr den teuren Industriestandard Photoshop. Jedesmal, wenn eine neue Version von Ubuntu- oder Suse-Linux veröffentlicht wird, gibt es Sondereditionen fast aller großen Computerzeitschriften mit Tipps für Ein- und Umsteiger. Und mittlerweile gibt es auch für Linux die sonst nur für XP gewohnten fragwürdigen Tipps, um das Betriebssystem schneller oder sicherer zu machen. „120 Tipps für Ubuntu“ warb in diesem Jahr eine dieser schreierischen Postillen. Anerkennung für Linux gab es auch von anderer Seite: Der Linux-Erzfeind Microsoft schloss zum Jahresende ein strategisches Abkommen mit dem Suse-Distributor Novell, einem großen Fisch in der Linux-Szene. Über die Auswirkungen diskutiert die Communitiy noch. Fakt ist: Microsofts Kunden erwarten nun auch von Windows, dass es sich in gemischten Umgebungen mit Linux betreiben lässt.
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