Verteufelte Heimatpartei

Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht. Der Mutige ist SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer. Die Wahrheit verkündete er jüngst im Stern: Die SPD muss ihre Pauschalabgrenzung gegenüber der Linkspartei endlich aufgeben, fordert der Parteilinke. Das wird tatsächllich allerhöchste Eisenbahn. Warum sollen sich ausgerechnet die Sozialdemokraten in Hessen besonders deutlich von den linken abgrenzen, wo die Partei doch überhaupt keine SED-Vergangenheit besitzt.

Die Verteufelung der Linkspartei nützt vor allem der Union. Sie wirft die Linkspartei gern mit der NPD in eine Schublade als die „extremistischen Parteien“. Gerade im Osten ist das gefährlich. Hier erinnern sich viele noch an die SED-Diktatur. Eine schlimme Zeit, keine Frage. Aber wer das Dritte Reich mit der DDR vergleicht, begeht nicht nur Geschichtsklitterung, sondern er macht aus den Vernichtungslagern der Nazis Waldorfkindergärten.

Wir alle sollten froh sein, dass die Linke als Protestpartei eine Alternative zu den NPD-Schlägern bietet. Und wir sollten froh sein, dass sie im Osten noch über eine Basis verfügt, die dem Vordringen der Nazis ins tägliche Leben etwas entgegensetzen kann.

In den neuen Ländern besitzt die Verteufelung der Linken eine weitere gefährlichere Komponente als im Westen. Hier erinnern sich viele noch an die SED-Diktatur und haben ein zwiespältiges Verhältnis zur SED-Nachfolgepartei. Einerseits ist sie die Partei der Stasi-Veteranen, andererseits bewahrt sie in den Augen vieler das Erbe einer Gesellschaftsordnung, die den Menschen nicht auf seine ökonomische Verwertbarkeit reduziert hat. In ihr lebt ein Stück Kollektiverfahrung weiter, das man nicht gern unter Kollektiverdacht sieht.

Dass die CDU selbst ohne Prüfung im Einzelfall die Mitglieder ihrer Ostschwester übernommen hat, daran erinnert man sich im Osten sehr genau – anders als im Westen. Unabhängig von der persönlichen Einstellung zur SED-Vergangenheit der Linken, empfindet man die Rote-Socken-Propaganda der Unionsparteien als heuchlerisch – weit über das ideologisch linke Lager hinaus.

Wenn aber die „Westparteien“ schon Lügen über die Linken verbreiten, warum sollten sie über die Rechten die Wahrheit sagen, wenn sie vor der NPD warnen? Darin liegt die große Gefahr der Grabenkämpfe gegen die Linkspartei. Ihr hat das nicht geschadet. Es hat sie stärker gemacht. Im Osten hat sich die Linke als eine Art Heimatpartei eingegraben.

Im Westen hat sie eine völlig neue Stammwählerschaft erschlossen: die Modernisierungsverlierer, die Hartz-IV-Empfänger und alle, die sich davon bedroht fühlen. Hier muss ich Herrn Scheer entgegentreten. Die Sozis im Westen erinnern sich noch sehr gut an die Ära Gerhard Schröder, als sie mit der Faust in der Tasche der SPD die Treue hielten. Sie haben den größten Kahlschlag in der Geschichte des deutschen Sozialstaates mit knirschenden Zähnen mitgetragen. Jetzt, wo Schröder weg ist und die SPD zu ihren traditionellen Positionen zurückfindet, müssen sie mit denen zusammenarbeiten, die sich damals verdrückt haben und nun als lachende Dritte zurückkehren.

Die SPD muss sicher zu einem nüchternen Verhältnis zur Linkspartei finden. Noch viel, viel dringender müsste das die CDU tun, denn ihre Kampagnen legen im Osten Feuer.

Kategorien: Ansichtssache, Politik und Gesellschaft

1 Kommentar

  1. Das ist wie seinerzeit mit den Grünen, heute ….
    Die SPD hat wohl mehr ein Problem mit Oskar, die CDU braucht immer etwas länger. Die’normative Kraft des Faktischen‘ wird hier auch wirken.

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