Kategorie: Feuillton

Kultur, Musik, Film, Literatur, Zeitgeist

Schnee in Texas

Salim Nourallah: Snowing in my HeartKann es in Texas schneien? Sonne, Staub, Tequila, das gehört zu Texas. Wenn ein Texaner sagt, es schneie in seinem Herzen, dann muss es schlimm um ihn stehen. Salim Nourallah, Singer-Songwriter aus Texas, hat seine neue CD so genannt, „Snowing in my Heart“. Und die Titelauswahl gibt das Programm vor. Ein verzweifelter Nourallah schreit flehend „Hang On“. Und obgleich er den Hörer gleich im zweiten Song besänftigt, es bestehe kein Grund, „So Down“ zu sein: Auf „Snowing In My Heart“ – seiner insgesamt dritten Solo-CD – kostet Salim Nourallah eher die melancholische Seite seines Talents aus. Das engt die Aussage etwas ein, gegenüber dem famosen Vorgänger „Beautiful Noise“, der durchaus seine lebensfrohen Momente besaß. Beim ersten Hören wirkt die neue CD fast ein wenig unscheinbar. Salim Nourallah spielt weniger mit verschiedenen Sounds, er weiß diesmal schon vorher, was sagen will und dosiert die Mittel sparsam. Nach wie vor liegen seine Wurzeln im Werk der Beatles, aber nun hat der eigenwillige Texaner eine neue Ebene im Schreiben von Popmusik erreicht. Salim Nourallah sucht den Vergleich mit Songschreiber-Giganten wie Elvis Costello, Andy Partridge (XTC) oder Jarvis Cocker (Pulp). Seine Melodien sind vielleicht ein wenig sperriger geworden, aber einen solchen Reichtum an subtilen harmonischen Schattierungen bieten wenige Pop-Platten. Die Ballade „I Miss You“ mag als Beispiel dienen. Da enttäuscht Salim Nourallah alle vorausgeahnten Akkordfolgen. Dafür findet er neue, die noch nicht abgegriffen sind. „Snowing In My Heart“, der Titelsong ist sogar fast zu episch für ein Pop-Album. Das ist eine Mini-Oper. Machen wir’s kurz: Als musikalischer Begleiter im Auto mag das 2005er Album „Beautiful Noise“ geeigneter sein, ansonsten hat sich ein ohnehin herausragender Popkünstler auf „Snowing In My Heart“ selbst übertroffen. Es braucht allerdings ein wenig Zeit, das zu entdecken. Geben Sie Salim Nourallah diese Zeit, und er entführt Sie auf einen Trip durch eine melancholische Pop-Wunderwelt, in der einfach alles passieren kann.

Wolff von Rechenberg

Salim Nourallah: Snowing In My Heart, tapete records TR105

Weiterlesen: Nie wieder Denton, Texas

documenta-Pause

Mit dem Foto vom Aue-Pavillon geht mein documenta-Tagebuch in eine Pause. Die weiteren Ausstellungsorte, Neue Galerie und Schloss Wilhelmshöhe, muss ich erst noch aufsuchen. Vielen Dank an alle, die mir so fleißig durch die heiligen Hallen gefolgt sind.

documenta 12: Aue Pavillon

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Der Aue-Pavillon im normalen Flutungszustand. Ein Ordner wimmelt die ersten japanischen Touristen ab, die Einlass begehren. Ein Pariser Architekturbüro hatte den Pavillon geplant. Aber eigentlich sollte er nur aus einem Plexiglasdach und offenen Wänden bestehen. Klar, dass man keine unersetzlichen Kunstwerke in einem so offenen Gebäude zu präsentieren. Warum Roger M. Buergel überhaupt auf die Idee verfallen war, ein solches Gebilde errichten zu lassen, zählt zu den Geheimnissen dieser documenta. Dann kam eins zum anderen: Nachdem man Wände errichtet hatte, stellte man fest, dass es da drin heiß wie in einem Backofen sein würde. Also kamen Vorhänge hinzu. Die Architekten distanzierten sich von ihrem Pavillon. Und der steht nun da, mal unter Wasser, mal in der sengenden Sonne, gegen die die Klimaanlage kaum ankommt.

documenta 12: Seidenstraße

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Und wieder sind wir bei einem Chinesen, und wieder sind wir bei Seidenmalerei. Wie Hu Xioayuan stellt Lu Hao in „recording 2006 chang’an street“ moderne Inhalte in dieser alten Gestaltungstechnik um. Die Chang’an Straße in Chinas Hauptstadt Beijing ist eine der Hauptverkehrsadern der Metropole. Sie führt vom Platz des himmlischen Friedens (Tian’anmen-Platz) zur Verbotenen Stadt. Das alte China an den Rändern dieser Straße ist mittlerweile fast vollständig modernen Bürohäusern und Einkaufszentren gewichen. Lu Hao stellt in seinem Werk die Straße in ihrer ganzen Länge in schier endlosen Glasvitrinen dar. Er zeichnet sie wie sie ist, mit einer Technik, wie es sie bald vielleicht nicht mehr gibt. Sein Werk setzt dem alten China ein Denkmal, ohne es nostalgisierend darzustellen. „recording 2006 chang’an street“ ist eines von vielen sehr politischen Kunstwerken im Aue-Pavillon.

documenta 12: Siegesgärten

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Die Gärten der Sieger stellt Ines Doujak im Aue-Pavillon aus: Ein 16 Meter langer Blumenkasten auf Holzstelzen. Darin hat die Künstlerin Gras und Kräuter gepflanzt. Dazwischen stecken auf Holzstäben lustige Samentütchen, wie in jedem Gemüsegarten. Aber dieser Gemüsegarten hat es in sich. Er steckt voller Hinweise auf Patente, mit denen multinationale Konzerne die Schöpfung neu ordnen: in Dein und Mein.

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