Kategorie: Phaenomene des Alltags

Phaenomene des Alltags: Die Verpackung

Die erste Verpackung, mit der wir zu tun haben, ist die Windel. Die letzte ist der Sarg. So unterschiedlich sie erscheinen mögen, eines verbindet sie: Wir können sie beide aus eigener Kraft nicht öffnen. Ein schlechtes Omen für ein Menschenleben, denn Verpackungen begleiten uns durch unser ganzes Dasein. Manche Zeitgenossen machen sogar Kunst daraus. Immer wieder begegnet uns die Verpackung in unterschiedlicher Gestalt und Farbe. Aber immer wieder werden wir das frustrierende Gefühl erleben, eine Verpackung nicht öffnen zu können.

Ein Beispiel: wenn ich abends den Tisch abgeräumt habe und das Geschirr im Geschirrspüler verstaut habe, dann verzweifle ich mit schöner Regelmäßigkeit an den Reiniger-Tabs. Weiterlesen

Phaenomene des Alltags: Der Stammtisch

Die Sozialdemokraten fürchten den Stammtisch. Warum? Gab es nicht auch den einen oder anderen Arbeiter, der nach der Schicht in den Gasthof ging? Nähern wir uns dem Phänomen über die Wikipedia: „Vor allem in ländlichen Regionen und kleinen Gemeinden war die Zugehörigkeit zum Stammtisch an einen höheren Sozialstatus gebunden. So setzte sich ein Dorfstammtisch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem aus örtlichen Honoratioren wie dem Bürgermeister, Arzt, Apotheker, Lehrer, Förster oder wohlhabenden Bauern zusammen.“ Weiterlesen

Phaenomene des Alltags: Die Börse

Der Dax sei orientierungslos, schrieb die Wirtschaftswoche am gestrigen Mittwoch. Das wäre an sich keine Nachricht, wenn der Dax ein Tier wäre. Ein Tier wie der Frosch im Glas, der das Wetter voraus sagen soll. Der klettert entweder rauf oder runter. Kaum zu erwarten, dass er dabei die Orientierung verlöre, aber auch nicht ausgeschlossen.

Genau genommen kann auch der Dax nur rauf oder runter. Dass er bei dieser schlichten Auswahl schon die Orientierung verliert, kennzeichnet ihn als niedere Lebensform, die fürs Überleben selbst in ihrem natürlichen Lebensraum nur mangelhaft ausgestattet ist. Anders als der Frosch, macht der Dax ja nur in seinem angestammten Habitat Sinn: an der Börse.

Dieses Ökosystem zeichnet sich seinerseits ebenfalls durch erschreckende Anzeichen von geradezu menschlicher Dysfunktionalität aus. Weiterlesen

Phaenomene des Alltags: Der Coffee to go

Ich bin im Fleisch ein Kind der Sechziger, im Geiste eines der Siebziger. Und in beiden Jahrzehnten hieß es, wenn man seinen Kaffee außerhalb geschlossener Räume genießen wollte: „Draußen nur Kännchen!“ Nicht nur im beschaulichen Bad Sooden-Allendorf, das mich unter seine Söhne zählen darf. Wehe dem, der sich, die Anweisungen des Thekenpersonals missachtend, mit der Tasse ins Sonnenlicht stehlen wollte. Die Kellnerinnen, damals pausbäckige zu allem entschlossene Gestalten, stellten sich ihm in den Weg wie Sumo-Ringerinnen.

Heute würde die Bestellung eines Kännchens Kaffee in den meisten Gebieten der zivilisierten Welt zu ratlosen Blicken bei den Kellnern führen, die heute lange Schürzen anhaben und nicht mehr im Parkcafé arbeiten, sondern bei Starbucks. Draußen nur Becher, würde man heute rufen. Ach was, draußen… In dem Café am Bahnhof Alexanderplatz, in dem ich für gewöhnlich vor dem Abstieg in die Untergrundbahn noch einen Kaffee zu trinken pflege, schenkt den Türkentrank grundsätzlich im Becher aus.

Einmal wandte ich ein, ich würde den Kaffee nicht mitnehmen, sondern hier drinnen trinken. Da bekam ich den Pappbecher ohne den charakteristischen Plastikdeckel, der an die Schnabeltassen erinnert, in denen in Seniorenheimen zuweilen das Abendessen gereicht wird. Der Coffee to go ist überall. In den U-Bahnen, auf den Bahnsteigen.

Er ist selbst dort, wo er noch nicht ist: am Hauptbahnhof in Brandenburg an der Havel. Dort hasten Menschen zu den Regionalzügen, die knisternde dünne Plastikbecherchen weit von sich strecken, damit der herausschwappende Kaffee nicht die Kleidung beschmutzt – wenigstens nicht die eigene.

Als Treibstoff unserer 24-Stunden-Gesellschaft ist der Kaffee schon öfter bezeichnet worden. Aber der Bedarf nach diesem Treibstoff scheint stetig zu steigen. In Berlin liegen im Schnitt gefühlte 50 Meter von einer Zapfstelle zur nächsten. Kaum zu glauben, dass sich in dieser Stadt auch noch Kaffeemaschinen in Privatbesitz befinden sollen. Aber, was beschwere ich mich. Zähle ich doch auch zu jenen, die sich jeden Morgen so dämmerig wie die Welt ringsum in die Metropole chauffieren zu lassen. Da geht nichts ohne Kaffee. Hallo!? Kann ich noch einen Coffee to go haben? Genau zum hier Trinken!

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