Phaenomene des Alltags: Die Verpackung

Die erste Verpackung, mit der wir zu tun haben, ist die Windel. Die letzte ist der Sarg. So unterschiedlich sie erscheinen mögen, eines verbindet sie: Wir können sie beide aus eigener Kraft nicht öffnen. Ein schlechtes Omen für ein Menschenleben, denn Verpackungen begleiten uns durch unser ganzes Dasein. Manche Zeitgenossen machen sogar Kunst daraus. Immer wieder begegnet uns die Verpackung in unterschiedlicher Gestalt und Farbe. Aber immer wieder werden wir das frustrierende Gefühl erleben, eine Verpackung nicht öffnen zu können.

Ein Beispiel: wenn ich abends den Tisch abgeräumt habe und das Geschirr im Geschirrspüler verstaut habe, dann verzweifle ich mit schöner Regelmäßigkeit an den Reiniger-Tabs. Natürlich ist jeder einzelne der Waschpulver-Quader in ein Tütchen geschweißt, das normalerweise schon bei geringer Gewaltanwendung aufreißt und seinen Inhalt frei gibt. Nicht jedoch, wenn mir vorher schon die Reste von Tee oder Sauce über die Finger gelaufen sind. Dann muss ich regelmäßig zu schwerem Gerät (Küchenschere) greifen, um mein Werk zu vollenden.

Im Zweifel für die Ewigkeit – so scheint das Motto der Verpackungsindustrie zu lauten. Auch wenn das in den meisten Fällen überhaupt keinen Sinn ergibt. Warum sträubt sich die Tüte Milch so gegen jeden Versuch, sie zu öffen? Schließlich ist sie doch ohnehin nur wenige Wochen haltbar, Frischmilch sogar noch kürzer. Noch unheimlicher werden die Bemühungen der Verpackungsindustrie um Dauerhaftigkeit, wenn wir uns die erste und letzte Verpackung anschauen. Windel wie Sarg lassen sich im Grunde problemlos öffnen, dass wir das in den jeweiligen – nun ja – Lebenslagen nicht selbst können, hat mit unserem körperlichen Unvermögen zu tun, nicht mit der Verpackung. Ein Erwachsener im Vollbesitz seiner Körperkräfte bewältigt Windel und Sarg spielend.

Das kann man aber von der Verpackung einer Milchschnitte nicht behaupten. Die Milchschnitte ist das größte Verpackungsrätsel, vor dem ein Junge steht, bevor er zum ersten Mal mit BH-Verschlüssen zu tun bekommt. Nirgendwo lässt sich die Verpackung so widerstandslos öffnen, dass die Milchschnitte nicht in Gefahr gerät. Vielmehr muss man beim Aufzuppeln der Tüte darauf achten dass der Inhalt nicht zerdrückt wird. Es empfiehlt sich, die Milchschnitte längs, entlang der Naht, zu öffnen. Dann lässt sich am Ende des Risses, von der Naht weg, die Verpackung quer einreißen. Dieser Arbeitsschritt ist wichtig, weil die Milchschnitte sonst beim Herausnehmen zerbricht oder zerdrückt. Die Folge wäre bei mir ein Wutanfall. Sie sehen schon: Mit etwas Lebenserfahrung geht alles. Aber, liebe Leute bei Ferrero, das ist ein „Kinder“-Produkt!

Immerhin markiert Ferrero inzwischen eine gedachte Stelle, an der sich die Milchschnitte öffnen lassen soll. Glauben Sie das nur ja nicht! Folgen Sie exakt der genannten Anleitung, vor allem wenn Sie zum Jähzorn neigen. Schon die Ägypter liebten solche Finten. In ihren Pyramiden gab es stets Wege, die zu reicher Beute zu führen schienen, und dann doch in einer leeren Grabkammer endeten. Insofern blickt die Verpackungsindustrie auf eine lange Tradition zurück. Manchmal legt sie aber auch unabsichtlich solche Finten.

Nehmen wir die Papiertaschentücher, die der Volksmund ohne schleichwerberische Absicht „Tempos“ nennt. Eine perforierte Klappe mit einem Klebestreifen legt uns nahe, die Verpackung dort zu öffnen und nach dem entnehmen des Tuches die Packung wieder zu verschließen. Das funktioniert oft reibungslos, geht aber auch oft schief. Da löst sich der Klebestreifen gern vollständig von der Verpackung. Wenn nicht, dann bleibt er am obersten Taschentuch kleben. Das Wiederverschließen können Sie dann vergessen. Manchmal geht die Packung aber auch gleich am unteren Ende auf. Dann rutschen gleich alle Taschentücher auf einmal heraus.

All dies wäre nur halb so ärgerlich, wenn wir nicht immer wieder in den Werbespots schöne junge Menschen sähen, die eine Chipstüte öffnen, ohne den Inhalt auf dem Tisch zu verteilen, die einen Milchschnitte auspacken und dabei einfach den oberen Teil der Verpackung sauber abreißen oder die einen Reiniger-Tab einfach so bewältigen, obwohl sie gerade die Maschine beladen haben. Die Verpackungsindustrie macht uns nicht nur das Leben schwer, sie gibt uns auch ein Gefühl der Unzulänglichkeit, des Unvermögens. Sie quält und verhöhnt uns. Ach, wäre doch nur alles so einfach wie Windel oder Sarg.

Kategorien: Phaenomene des Alltags

2 Kommentare

  1. Huhu Wolff!
    Einfach schön dein Klassiker, habe sehr gelacht. Frohe Ostern dir und Simone!
    Herzlich Ruth

  2. Hi Wolff,
    Cool wäre mal ein kleines Video, wie man diese Aluminium Tüten von den Kaffeebohnen oder diesen kleinen Waschmitteltüten richtig aufschneidet 🙂

    Irgendwie schneide ich die immer falsch auf und beim befüllen geht dann immer die hälfte daneben 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Copyright © 2024 Wolff von Rechenberg

Theme von Anders Norén↑ ↑