„Das Schicksal der Hitler-Bewegung liegt in der Judensache. Ich begreife nicht, warum sie diesen Programmpunkt so zentral gestellt haben. An ihm gehen sie zugrunde. Aber wir wahrscheinlich mit ihnen.“ V. Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen…, S. 25
Diese Worte notierte Victor Klemperer am Dienstag, 25. April 1933, in seinem Tagebuch. Victor Klemperer, geboren am 9. Oktober 1881 in Landsberg/Warthe und gestorben am 11. Februar 1960 in Dresden, lehrte von 1920 bis 1935 an der Königlich Sächsischen Technischen Hochschule französische Literatur.
Am 30. April 1935 erhält Klemperer die Mitteilung über seine Entlassung aufgrund von §6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Ab Ende 1935 steht er damit auf der Straße, finanziert durch eine schmale Pension von 400 Mark im Monat (sein Gehalt betrug 800 Mark). Am Abend des 15. Mai 1933, ein Montag, beschließt Victor Klemperer erstmals, die Chronik des Reiches aus seiner ganz persönlichen Sicht zu schreiben. Im Rahmen dieses Tagebuches beginnt er auch, Notizen über die Eigenheiten des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs anzufertigen. Aus ihnen wird 1947 die „Lingua Tertii Imperii“ entstehen
In Klemperers Tagebüchern begegnet uns ein gebildeter, grüblerischer Mann, der an einem Buch über die französische Literatur des 18. Jahrhunderts schreibt. Das Werk steuert auf eine ungewisse Zukunft zu. Welcher deutsche Verlag würde schon eine von einem Juden geschriebene Abhandlung über die Literaturgeschichte des Erbfeindes veröffentlichen?
Über Klemperers Ehefrau Eva erfahren wir, dass sie an einer oder mehreren Krankheiten leidet. Wir lernen sie als depressive Person kennen. Und auch Victor Klemperer selbst leidet – an Herzbeschwerden. Eva besteht auf einem eigenen Haus, das die Ersparnisse des Paares auffrisst. Der Umzug ins Eigenheim in Dölzschen bei Dresden erfolgt am 1. Oktober 1934. Klemperer hat sich gegen die Emigration entschieden. Am 1. Juli 1933 hat er notiert:
„Wir hören jetzt viel von Palästina, es sagt uns nicht zu. Wer dort hingeht, vertauscht Nationalismus und Enge mit Nationalismus und Enge.“ Klemperer, S. 38.
Wie durch ein Wunder überlebt das Ehepaar Klemperer die Zeit der ständigen Furcht. Eine Furcht, die wächst, während der Rechtsstaat sich zurückzieht.
Schreibe einen Kommentar