Götterdämmerung für Bush und Gates

Während Vista zunehmend als Marktrisiko gilt, breitet sich Linux stillschweigend aus. Doch als Erklärung dafür reicht der missglückte Start des neuen Windows nicht aus. Schlechtes Image und vermurkste Politik des Bush-Amerika belasten Microsofts Bilanzen.

Drei Tage, drei Meldungen: Am Mittwoch erfuhren wir, dass Angola beim Aufbau von Informationstechnologie auf Open Souce setzt und sich der Unterstützung des französisch-brasilianischen Linux-Distributors Mandriva versichert hat. Am Donnerstag meldeten Russland und Mazedonien, dass in den Schulen Linux die gewohnten Windows-Oberflächen ablösen soll. Gestern meldete Pro-Linux, dass die Behörden der Niederlande auf offene Standards wechseln sollen. Meldungen wie diese rauschen mittlerweile fast täglich durch die Feed-Reader. Kein Zweifel: Die Welt wendet sich Linux zu. Dazu trägt ganz sicher die allerorten bejammerte Unsicherheit des XP-Nachfolgers Vista bei. Dazu kurz noch ein Detail, das die Computerzeitschrift c’t in ihrer aktuellen Ausgabe (Nr. 20 vom 17.9.2007) in den „Mobil-Notizen“ meldet:

„Sony entdeckt Windows XP wieder. … Notebooks mit vorinstalliertem Windows XP wird Sony ab Ende Oktober anbieten.“

Das zeigt, dass große Computerherstellern Windows Vista mittlerweile als Absatzrisiko einstufen. Sicher: Die Computer mit vorinstalliertem Linux führen bisher ein Schattendasein. Dell gebührt die Ehre, als erster Computermulti, Linux-Computer für den Massenmarkt angeboten zu haben. Ganz sicher kann man immer noch diskutieren, ob der Linux-PC tatsächlich schon so weit ist, dass ein Anfänger ihn problemlos bedienen und warten kann. Aber ist der Windows-Desktop jemals soweit gewesen?

Niemanden hat das je interessiert, schon gar nicht Microsoft. Windows hat sich nicht gegen das Apple-Betriebssystem durchgesetzt, weil es besser war, sondern weil es da war, weil es auf jedem Computer lief und man sich damit befassen musste. Das wird von Linux-Skeptikern gern vergessen. Jetzt sind es Linux-Computer, mit denen man sich befassen muss. Das gilt zumindest für die Bediensteten der Städte Wien und München und – wenn ein Test in Amsterdam gut ausgeht – auch bald für die Büromenschen in der Grachtenstadt. Das wird die Hemmschwelle senken, auch privat mal den Pinguin auf die Platte zu laden.

Noch viel gravierender für den Linux-Durchbruch wird sich der Einsatz in Schulen auswirken. Schulen fürchten die rechtlichen Grauzonen kommerzieller Software. Schließlich wollte Microsoft in diesem Jahr einmal einen russischen Lehrer einbuchten lassen, weil er nicht lizenzierte Windows-Systeme auf den Schulcomputern betrieb. Dabei hatte der Lehrer die fraglichen Computer genauso gekauft. Freie Software ist der beste Schutz gegen die Kriminalisierungstendenzen der Software-Multis. Außerdem können gerade Schulen und öffentliche Einrichtungen die Mittel für den Einsatz von Windows gar nicht aufbringen.

Sicher, liebe Linux-Skeptiker, im Augenblick besitzt das freie System einen Marktanteil von maximal 2 – 3 Prozent . Doch schauen wir uns an, wie die zustande gekommen sind: Niemand wirbt für Linux und dennoch konkurriert es eifrig mit Mac OSX, das ein großes Unternehmen mit riesigen Werbekampagnen in den Markt drückt. Wenn wir das Thema auf Open Source Software ausweiten, dann liegt der freie Browser Firefox bei stolzen Marktanteilen je nach Statistik zwischen 20 und 30 Prozent, und auch Open Office verbreitet sich rasant. Auch hier geschieht das fast ohne Werbung. Nur zwei Gründe sprechen für Open Source, und von diesen beiden ist die Qualität der bei weitem wichtigste.

Doch Microsoft kämpft auf den Desktops der Welt nicht nur gegen eigene Schwächen und die Stärken der Konkurrenz. Gerade beim Linux-Einsatz in Russland und China fällt immer wieder das Argument der Abhängigkeit von einem US-Konzern. Die neuen (alten) Großmächte bringen sich wirtschaftlich gegen Amerika in Stellung, das sich schwer mit der Erkenntnis tut, dass die Zeit der uneingeschränkten Alleinherrschaft über die Welt dem Ende entgegen geht. Linux bietet sich als die einzige wirkliche Alternative an. Microsoft als die fünfte Kolonne der amerikanischen Weltpolitik? So sehen es die neuen Machthaber in Moskau und Bejing. Es kommt – für Microsoft – aber noch dicker.

Schon 2005 hatte Microsoft das geplante neue Betriebssystem vom sehr amerikanisch klingenden Longhorn in Windows Vist umbenannt. Schon damals befürchtete Microsoft, dass Kunden in Asien und Europa ein zu amerikanisches Windows mit der Amok laufenden Supermacht assoziieren könnten. Genau das ist passiert: Windows erscheint als das digitale Gegenstück zum Allmachtsanspruch der amerikanischen Politik. Analog dazu verabschiedet sich Microsoft genauso schmerzhaft von der alten Größe wie sein Heimatland, die USA.

Was kommt nun auf uns zu? Politisch lässt sich das nicht sagen. Auf dem PC läuft alles auf eine Wiedereinsetzen marktwirtschaftlicher Strukturen. Dazu passt eine junge Melung von Heise. Erstmals müssen sich amerikanische Gerichte mit einer Klage wegen Verstoßes gegen die GPL beschäftigen. Das ist die Lizenz, die die Quelloffenheit von Open Source-Programmen schützen soll. Linux ist auch in juristischer Hinsicht endlich erwachsen geworden. Im selben Maß, in dem Linux Marktanteile hinzugewinnt, wird die Bedeutung plattformübergreifender Lösungen zunehmen. So wie heute schon viele von uns ihre E-Mails im Internet bearbeiten, werden wir wohl auch bald andere Büro- und Freizeitarbeiten im internet verrichten, ganz egal, was auf dem PC läuft.

Kategorien: Ansichtssache, Tux Area, Welt im Wandel

2 Kommentare

  1. Nicht zu vergessen, dass die allermeisten Webserver weltweit (einschließlich diesem hier) unter Linux betrieben werden.

  2. Toller Artikel. Er zeigt, dass auch massivste Marketingstrategien und -methoden scheitern können, wenn sie auf Dauer gegen die Kunden gerichtete sind.
    Windows ist nämlich eigentlich keine Software, sondern in erster und auch in zweiter Linie ein Marketingkonstrukt, nichts weiter.

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