Was macht einen Klassiker zum Klassiker? Elvis Presley, The Beatles, Mozart, der VW Käfer, Derrick, sie alle haben gemeinsam, dass sie Geschichte sind, nicht mehr gebaut, aus und vorbei. In diesem Sinne können wir dieses Jahr erleben, wie eine HiFi-Legende den Weg alles Irdischen geht und in die Überlebensgröße der Klassiker einzieht. Der Matsushita-Konzern will den Plattenspieler Technics SL1210 einstellen. Die Produktion soll schon stillstehen. Und während in Europa noch Bestände zum Verkauf stehen, gibt es in Australien den Technics SL1210 nicht einmal mehr im Handel. Wer noch einen SL1210 haben will, sollte jetzt schnell zugreifen.
Eine Discothek ohne Technics SL1210 war nicht vorstellbar
Mit dem Produktionsstopp endet ein Plattenspieler, der eine ganze Marktnische begründet hat: den DJ-Plattenspieler. 1972 als hochwertige Musikmaschine für Rundfunkstudios aus der Taufe gehoben, trat der Technics SL1210 seinen Siegeszug an, als in den Siebzigerjahren die Diskotheken boomten. Eine Disco ohne Technics-Plattenspieler? Das war schlicht nicht vorstellbar. Und wer einmal als Discjockey gearbeitet hatte, wer die vertrauenerweckende Kühle der robusten Ganzmetallkonstruktion eines SL1210 gespürt hatte, der wollte selbst einen Technics SL1210. Und der kaufte sich irgendwann einen SL1210, und dann wollten die Kumpels – DJs waren schon Popstars, bevor sie sich alberne Namen gaben – dann wollten die Kumpels auch einen haben. Mit einem Tecchnics SL1210 fühlte man sich in den frühen 1980er Jahren auch schon ein bisschen als Pop-Star und wähnte sich bei den Mädchen schon halb gelandet.
Hip Hop macht den SL1210 zum Musikinstrument
Mit der HipHop-Welle am Ende des Jahrzehnts stieg der SL1210 zum Musikinstrument auf, das man auch in Deutschland „Turntable“ nannte – oder besser: Turntables. Denn Turntables brauchte man immer paarweise – zum Scratchen. Dazu eine kleine Anlage und ein kleines Mischpult. Dann zog man die Hosen auf Halbmast, die nähere Umgebung des elterlichen Einfamilienhauses nannte man nur noch „da Hood“ (sprich: dä Hudd) und sich selbst MC Soundso, schon war man ein HipHoper, ein Gangsta.
Es entstand ein so gewaltiger Markt, dass Firmen wie Reloop und Numark in da Hood des Technics SL1210 einzubrechen suchten, die dieser fast monopolisch bediente. Doch Hip Hop und Technics SL1210, das blieb ein Begriffspaar wie Windows und PC, wie Gold und Barren, wie Lambrusco und Kopfschmerzen. Die klanglichen Qualitäten des Technics SL1210 sind gelegentlich übertrieben worden. Der Technics 1210 interpretiert Musik zwar kraftvoll, aber im Vergleich zur audiophilen Konkurrenz doch etwas zu rau und unsensibel. Über jeden Zweifel erhaben war jedoch die Fertigungsqualität.
Der SL1210 lief wartungsfrei jahrzehntelang, selbst unter Sauerstoffabschluss und erhöhter Nikotinbelastung, typische Bedingungen einer Diskothek der 1980er Jahre. Das Präzisionslaufwerk leistet sich Geichlaufschwankungen im homöopathischen Bereich. Das Druckgussgehäuse hatten die Technics-Ingenieure so kunstvoll abgedämpft, dass es akustisch weitgehend tot war. Der Plattenteller lief innerhalb von genau einer Drittelumdrehung auf Sollgeschwindigkeit – auch nach Jahren. Ein Freund von mir, der einen Technics SL1210 besaß, vergaß nur selten zu erwähnen, dass die Lagerpräzision sogar des Tonarms sogar der des SME 309 überlegen war. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber der Technics SL1210 war „workmanlike“.
Video killed the radio star – and the Technics SL1210 as well
Dass der Technics SL1210 irgendwann eingesstellt werden musste, liegt wohl weniger an der modernen Konkurrenz, die heute schon mit USB-Anschlüssen und dergleichen auftrumpft. Es liegt an der Produktpolitik von Matsushita. Das Ende der Marke Technics scheint dort eingeläutet. Die Technics-Seite läuft auf der Domain Panasonic.de, der Schwesterfirma. Man konzentriert sich bei Matsushita lieber auf die TV-Marke Panasonic. So teilt der Technics SL1210 letztlich das Schicksal der meisten HiFi-Klassiker: Video killed the radio star.
23. Januar 2010 — 01:30
Da werden Erinnerungen an lange Nächte in verrauchten Diskos in abgelegenen Gewerbegebieten wach.
23. Januar 2010 — 13:32
Ich habe dabei an meine eigene DJ-Zeit in Kassel gedacht. Wir hatten drei CD-Player, von denen immer zwei im Einsatz waren und der dritte beim Reinigen. Die beiden SL1210 waren so zuverlässig, dass es nur einen verstaubten alten Thorens gegeben hätte, um sie zu ersetzen. War aber nie nötig.
7. Dezember 2020 — 01:15
Cooler Artikel, kann nur Zustimmen, wirklich ein legendärer Klassiker!!!
Ich besitze seit ca. 25 Jahren 2 SL1210er Laufwerke, das einzige was mal kaputt ging war eine kleine Birne für die Plattentellerbeleuchtung nach über 20 Jahren, diese habe ich ersetzt und er ist wieder wie am ersten Tag. Der Plattendorn in der Mitte sollte ab und an mal mit Technics Spezialöl benetzt werden, das wars dann auch schon.
Ich liebe meinen Technics Plattenspieler, hab es nicht einen Tag bereut das Geld dafür ausgegeben zu haben.
Bitte mehr solcher Artikel, beste Grüße
7. Dezember 2020 — 01:31
Vielen Dank für das Lob und für den Tipp.
Schöne Adventstage wünscht
Wolff von Rechenberg