Die Welt der Phänomene unseres Alltags bevölkert der Manager noch nicht so lange: Mit dem Börsengang der Telekom trat er ins Licht der Öffentlichkeit – gemeinsam mit dem Papier, mit dem seine Existenz fluchhaft und unentrinnbar verknüpft ist: der Aktie. Beides hatte vorher den muffigen Beigeschmack von Nadelstreifen, Zigarren, steifen Gehröcken und Gamaschen über den Schuhen. Im Augenblick, da plötzlich selbst Studenten und alte Leute an der Börse zu spekulieren begannen, entschwand der „Kapitalist“ als Person und (national-)sozialistischer Kampfbegriff aus der Gesschichte.

Mit federndem Gang und gewinnenden Lächeln eroberte der Manager stattdessen die Bühnen der Nachrichtensender, deren Kulissen damals noch nach frischer Farbe rochen. „Capital“ und „Manager Magazin“, die man als Bravo und Popcorn der Shareholder-Gesellschaft bezeichnen könnte, erfreuten sich unerwarteter Beachtung bei Lehrern und Straßenbahnfahrern. Sie verklärten den Manager zum Entscheider.

Die ARD-Talkerin Sabine Christiansen schließlich verlieh dem Manager den letzten noch fehlenden Adelsschlag: In Polit-Talksendungen, in denen bislang nur Vertreter der Bundestagsparteien diskutierten, saßen plötzlich Manager mit in der Runde. Lässig. Cool. Sie waren die Entscheider. Ihnen gegenüber das Kontrastprogramm: die Politiker. Zänkisch. Kleinlich. Ewig vom Wähller gehetzt. Der Manager war unser Heilsbringer. Oder unser Enfant Terrible. Denken wir an Josef Ackermann: Ist er nicht der Dieter Bohlen der Finanzwelt? Planieren statt sanieren?

Das Bild vom Entscheider wirkte bis in die Politik hinein. In der Gesellschaft der Ackermanns und von Pirers wirkte Kanzler Helmut Kohl betulich und altbacken. Die Deutschen wählten einen Politik-Entscheider: Gerhard Schröder. Politik? Das schien nur eine Form von Management zu sein. Schließlich beurteilten in der Ära Schröder plötzlich Unternehmensberater den Zustand unseres Gemeinwesens. Die Deutschen wollten glauben: Wenn Deutschland wie ein DAX-Konzern funktioniert, geht es uns allen besser.

Die Sehnsucht nach Teilhabe am Börsenwunder Deutschland trieb nun auch die letzten Skeptiker in die Büros der Finanz- und Anlageberater. Wenn der Manager im globalisierten Wirtschaftskampf ein General ist, dann sind die Anlageberater die Infanterie. Sie brachten den Bundesbürger von den kleinbürgerlichen Anlageformen Bausparvertrag und Sparbuch in die Glitzerwelt,ins Casino der Aktien, Derivate, Fonds und Optionen.

So recht real wirkte das von Anfang an nicht. Alles war Reality-TV: Heimwerker-, Koch-, Erziehungs- und Auswander-Sendungen. Der Soap Marienhof folgte eben die Reality-Soap Börsenbericht.

Nun sortiert die Finanzkrise unerbittlich Realität und Fiktion. Vergessen der Traum von Teilhabe am Börsen-Monopoly. Spät die Einsicht, dass der Normalbürger überhaupt kein Spielgeld besitzt. Und der Manager? Die Figur an der sich die Träume der vergangenen Dekade kristallisierten? Der Entscheider sieht sich plötzlich als Zocker verfemt. Kein Popstar, kein Sportidol ist je so tief gefallen. Der Bohlen der Finanzwelt ist zum Bin Laden der Kleinanleger mutiert.

Zum Thema: Phaenomene des Alltags: Die Börse