Über den Särgen von toten Bundeswehrsoldaten strickt die Bundeskanzlerin vorsorglich an einer Dolchstoßlegende. Die deutschen Soldaten könnten in Afghanistan nur dann erfolgreich sein, wenn die Heimatfront hinter ihnen stehe, sagte Angela Merkel (CDU) bei der feierlichen Beisetzung gefallener Bundeswehrsoldaten am Wochenende. Ein Mühlsteinchen, das die Kanzlerin nach dem – absehbaren – Desaster am Hindukusch den Befürwortern eines raschen Abzugs um den Hals zu hängen gedenkt. Und ein Desaster steht dieser Bundesregierung ins Haus – oder der nächsten.Â
Darauf lassen alarmierende Berichte schließen, die so gar nicht zu den Durchhalteparolen aus dem Kanzleramt passen wollen. Auf Bild.de äußern sich Bundeswehrsoldaten resigniert über die afghanischen Kameraden. Den afghanischen Truppen, mit denen die Kameraden patrouillieren sollen, sei nicht zu trauen: Schlecht ausgebildet, nicht motiviert. Plünderungen betrachten sie als Sold. Außerdem sei den einheimischen Kameraden nicht zu trauen: Manche Familien verteilten ihre Söhne unter die Polizei oder die Armee einerseits und die Taliban andererseits.
Die Beziehungsgeflechte zwischen Taliban, Clans und Warlords seien viel mächtiger als die Regierung in Kabul, berichtet auch „Spiegel Online“. Das Magazin beruft sich auf Polizeiausbilder. Wenn deutsche Polizeiausbilder mit ihren afghanischen Kollegen Streife laufen, dann sprechen sie von „Sterben gehen“. Denn Polizisten sind beliebte Ziele für die Aufständischen. Sie genießen in der Bevölkerung den Ruf von Wegelagerern. Kein Wunder: Es zieht auch nur jene in den Polizeidienst, die anderswo kein Auskommen finden. 90 Prozent sind Analphabeten, die Mehrheit der Polizisten für den Polizeidienst vollkommen ungeeignet, schimpfen die deutschen Beamten in „Spiegel Online“.
Unter diesen Voraussetzungen wollen westliche Politiker am Hindukusch eine Demokratie nach europäischem oder nordamerikanischem Vorbild errichten. Ein System mit braven Staatsbürgern, die Steuern zahlen, ihre Kinder – auch die Töchter – zur Schule schicken, die Müll trennen, die auf die Rente sparen oder auf ein Häuschen im Grünen. Aber gedeihen Blumenbeete in Afghanistan? Hat irgendjemand die Afghanen gefragt, wie sie sich ihre Zukunft wünschen?
In einem hat Angela Merkel Recht: Wenn der Westen am Hindukusch versagt, dann ist das eine Katastrophe. Nur hat er schon versagt. Zu viele ausgebombte Hochzeitsgesellschaften, zu arrogantes Auftreten. Das mag man in Washington noch nicht eingesehen haben, in Berlin jedoch schon. Doch bis Washington und Berlin das eingestehen, werden noch viele beflaggte Särge über den Bildschirm geistern. Noch mehr, wenn sich US-General McChrystal mit seiner Charme-Offensive durchsetzt, wenn deutsche Soldaten und Polizisten mit ihren afghanischen Kameraden einträchtig um die Häuser ziehen sollen. Eine reizende Gesellschaft, wie man so liest.
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