Zum Festakt zu Ehren der Opfer des rechten Terrors musste Bundeskanzlerin Angela Merkel etwas tun, das in der Union normalerweise verboten ist: Merkel musste über Neonazis und rechte Gewalt sprechen. 

Wer zur Polizei geht, um Hakenkreuzschmierereien zu melden oder rechte Pöbeleien in der Straßenbahn, der braucht ein dickes Fell. Mit geplagtem Seufzen und rollenden Augen nimmt der Beamte die Anzeige auf. In Deutschland gegen Rechts zu sein, das nervt. Es könnte dieses Land so schön sein, wenn eine kleine Zahl von Störenfrieden nicht fortwährend und überall Nazis wittern würde. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Festansprache das Wegsehen angesichts der rechten Gefahr geißelt, dann können sich die Störenfriede heute wahlweise bestätigt oder verhöhnt fühlen.

 Bisher suchte sich jede Partei „ihre“ Extremisten aus

Letzteres hat die Regierungschefin und CDU-Vorsitzende nicht im Sinn gehabt. Ihre Rede steht für die Ratlosigkeit und das schlechte Gewissen der etablierten Parteien, wenn es um rechte Gewalt geht. Lediglich die Linkspartei und die Grünen haben das Thema beispielsweise in ihren Wahlprogrammen von 2009 erwähnt. Alle anderen Parteien begnügten sich in der Vergangenheit mit nebulösen Sonntagsreden gegen Extremisten aller Couleur. Innerhalb dieses Spektrums suchten sich die Parteien „ihre“ Extremisten aus: Vorzugsweise Linke und Islamisten.

In vielen Fällen keine Ermittlungen gegen Rechts

Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz lieferten dazu die passenden Zahlen. In immer neuen Jahresberichten belegten die Sicherheitsbehörden, dass die Zahl der linken Straftaten wieder einmal stärker gestiegen war als die Zahl der rechten Straftaten. Dabei ließ man unerwähnt, dass im einen Fall Autos im anderen Fall Menschen brannten. Die Ereignisse bei der Fahndung nach den Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe werfen ein neues Licht auf diese Zahlen: In vielen Fällen hatte man gar nicht in Richtung Rechts ermittelt. Das hatten die Innenpolitiker auch nie gefordert.

Politik hat bestellt, Polizei hat geliefert 

Gerade Unionspolitiker sahen in BKA und Verfassungsschutz nie etwas anderes als Bollwerke gegen den heranbrandenden Sozialismus. Wer CDU und CSU vor der Gefahr von Rechts warnen wollte, erhielt ein Augenrollen, ein Schulterzucken und die Entgegnung: „Extremismus ist aus jeder Richting schlimm. Jetzt wollen wir mal sehen, wie man die Linkspartei verbieten kann.“ Im Licht des größten Justizskandals der bundesdeutschen Geschichte drängt sich ein schlimmer Eindruck auf: Die Politik hat bestellt, die Justizbehörden haben geliefert.

Einfach nur eine Sonntagsrede mehr? 

Sicher könnte unsere Gesellschaft ein wenig mehr Zivilcourage, ein wenig mehr Engagement gegen Voruteile, Fremdenhass und Gewalt gebrauchen, wie es die Kanzlerin fordert. Wie wäre es aber zuerst mit einem ganz konkreten Wunsch: Können wir nicht einfach anfangen, all jene ernst zu nehmen und zu unterstützen, die sich jetzt schon gegen Rechts engagieren? Angela Merkel, die CDU und alle anderen Wegschauer an den Rednerpulten müssen bedenken: Die Rede von heute wird man in Erinnerung behalten, und es wird sich herausstellen, ob die Kanzlerin einfach nur an einem Donnerstag eine Sonntagsrede gehalten hat.