Zum Tag der deutschen Sprache legte Horst Seidenfaden, Chefredakteur der norhessischen Tageszeitung HNA, die Latte hoch. Eine Ausgabe ohne Anglizismen versprach der Zeitungsmacher den HNA-Lesern in der Wochenendausgabe. Nicht ohne anzumerken, dass man erstaunt sein werde, wie sehr englischsprachige Ausdrücke in die deutsche Sprache eingewachsen sind. Darauf braucht der LEser nicht lange zu warten. Gleich auf der nächsten Seite lesen wir das Wort Online-Durchsuchung. Wie wäre es mit „Auflinie-Durchsuchung“? Natürlich ist das Blödsinn. Aber ebenso ungerecht ist die Angewohnheit vieler Zeitungsleser, ihre Zeitung einzig nach Einhaltung einer reindeutschen Sprachkultur zu überprüfen. Die Kollegen selbst achten darauf, möglichst wenige Leser von der Lektüre auszuschließen. Ich selbst erinnere mich an eine Begebenheit aus meiner Zeit als Jazzkritiker. Am Rande eines Jazzkonzerts fragte mich ein Besucher: „Wann bekomme ich denn endlich einmal eine Zeitung in Deutsch?“ Ich antwortete: „Ich kann Begriffe wie Belcanto oder Presto auch nicht mehr lesen. Warum schreibt man nicht Schöngesang oder Schnell?“
Der Jazz und das Internet kommen eben aus den USA und besitzen englische Fachausdrücke. Und doch kann sich offensichtlich sogar ein Jazzhörer über Anglizismen in jazzkritiken ereifern. Schließlich erhält die HNA keine Leserschelte, weil etwas weiter hinten im Politikteil in einer Überschrift das polnische Parlament einfach als Sejm bezeichnet wird. Obwohl dieser Begriff unbekannter sein dürfte als die meisten Anglizismen. Nicht nur im Jazz.
Englisch ist die Sprache der Sieger, die Spracher derjenigen, die uns einst überrolten – verdient oder nicht. Und die Sprache der Sieger siegt weiter. „Make the most of now“, rät und das Mobilfunkunternehmen Vodafone. Das ist schade, denn wenn Vodafone gute Ratschläge in Deutsch erteilen würde, wüsste vielleicht die Mehrheit der Deutschen, dass sie aus dem Augenblick das Meiste machen soll.
Es sind solche Werbesprüche multinationaler Konzerne, die den Unmut gegen die englische Sprache schüren. Diesen Unmut müssen die Zeitungsjournalisten ausbaden, denn wer würde bei Vodafone anrufen, um sich zu beschweren?
10. September 2007 — 10:06
Online? Zu meiner Zeit hat man noch einfach ‚Auf den Strich gehen‘ gesagt!