Der Psychothriller als Genre ist eine Nutte. Er lässt sich von jedem Autoren benutzen, um abseitige Phantasien zu bedienen, oder um unrealistische Handlungskonstrukte zu rechtfertigen. Vor allem die Skandinavier retteten in der Vergangenheit den Ruf des Genres. Nur wenigen Amerikanern gelingt der Blick in die Menschliche Seele (altgriechisch: Psyche). Dennis Lehane lotet in seinem Roman „Shutter Island“ seelische Dramen, Traumata, Wahnvorstellungen aus.
Lehane beschreibt und erklärt jedoch die seelischen Abgründe seiner handelnden Personen nicht nur, er lässt den Leser mit hinabsteigen. Das macht Shutter Island zu einem besonderen Lesevergnügen.
Shutter Island ist eine Insel vor Boston. Dort gibt es nichts als eine Nervenheilanstalt, ein Alcatraz für gefährliche Geisteskranke. Dort soll US-Marshal Teddy Daniels gemeinsam mit seinem Kollegen Chuck Aule eine entflohene Bewohnerin suchen.
Doch Daniels verfolgt auf der Reise auch private Gründe: in Shutter Island, so hofft er, wird er Andrew Laeddis finden, jenen manischen Brandstifter, der den Brand gelegt hat, der Daniels Frau das Leben gekostet hat. Außerdem verdächtigt der Marshal den Anstaltsleiter Dr. Cawley, mit Menschen zu experimentieren.
Nachdem die Polizisten angekommen sind, bricht ein Sturm los, der bis auf Weiteres jeden Gedanken an Rückkehr zum Festland zunichte macht. Daniels und Aule sind auf sich gestellt – in einer Umgebung, in der die Grenzen zwischen Vernunft und Wahn zu fließen beginnen.
Ein Kammerspiel fast nach Art eines viktorianischen Gothic-Thrillers. Doch als Kontext wählt Dennis Lehane das Amerika der 1950er Jahre, der McCarthy-Ära. Eine Zeit, in der ganz Amerika in einer Art Wahn Kommunisten jagte.
So gelingt dem Autor mit Shutter Island ein Roman um die Brüche im heilen Gesellschaftsbild im Amerika der Petticoat-Ära, ein Roman um die Frage nach dem Grat zwischen Wahrheit und Wahn, ein Roman um die Frage: Was darf Medizin Menschen antun. Ein Roman, der nach der Unmenschlichkeit sucht und der die Menschlichkeit findet.
Fantastische Literatur für all jene, die akzeptieren können, dass Shutter Island am Schluss viele Fragen offen lässt – wie das Leben. Vor allem: Sind wir noch normal?
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