Anne Holt: Die PräsidentinHelen Lardahl Bentley, die neu gewählte Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, ist verschwunden. Sie war zu einem Staatsbesuch in Norwegen. Sie wohnte in einem streng gesicherten Hotel. Niemand hat die Suite von Madam President betreten oder verlassen. Dennoch ist sie weg. Entführt! Am norwegischen Nationalfeiertag! Polizei, norwegische und amerikanische Geheimdienste, alle durchstöbern das beschauliche Land am Nordrand Europas nach der Entführten.

Mitten zwischen den selbstherrlichen Amerikanern und den trotzigen Norwegern sitzt Yngvar Stubø. Norwegischer Polizist, Familienvater und nun Verbindungsmann zu Amerikas Starermittler Warren Scifford. Keine sehr komfortable Lage. Denn welches dunkle Geheimnis verbindet Scifford mit Stubøs Frau Inger Johanne? Und auch Präsidentin Bentley, die bestdurchleuchtete Frau der Welt, scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten. Eine alte Geschichte, die mit Bentleys Studienfreund Al Muffet zu tun hat, der damals noch Ali Muffasa hieß.

Sie dachte, sie käme damit durch… Mit solch finsteren Andeutungen zieht Anne Holt den Leser in ihren Kriminalroman „Die Präsidentin“. Und alte Geheimnisse ziehen immer. Wir alle erinnern uns schließlich an Momente in unserem Leben, die wir am liebsten vergessen würden. Bei Anne Holt verdichten sich diese Andeutungen. Solides Krimihandwerk. Dabei schürt sie die Spannung durch ihre Erzählweise. Anne Holt ist die Regisseurin, die ihre Protagonisten auf eine Bühne stellt, die ihnen die Worte in den Mund legt, und die sie in der Hitze des Gefechts oft nicht ausreden lässt.

Penibel folgt sie jeder Gemütsregungen, kleinen Gesten und Atempausen. Dadurch stößt sie den Leser mitten in die Hektik des größten vorstellbaren Kriminalfalles. Und erst, wenn der Leser die letzte Seite umgeblättert hat, merkt er, dass sich objektiv in anderen Kriminalromanen auf 392 Seiten mehr ereignet.

Aber was ist schon objektiv? Anne Holt nimmt stets die Sicht ihrer Figuren ein. Auch die des geheimnisvollen Abdallah al-Rahman, der vor dem Leser nicht verbergen kann, dass ihn die Autorin als Drahtzieher eines großen, schrecklichen Plans geschaffen hat. Mit großer Ruhe spinnt der geheimnisvolle Ölmilliardär ein Komplott, dass spannend bleibt, obwohl Holt es uns schon auf der Mitte des Buches offenbart. Wenn sie ihren Verschwörer beobachtet, ändert Holt die Erzählweise. Die Sätze werden länger. Keine hektischen Pausen unterbrechen den gleichmäßigen Fluss von al-Rahmans Gedanken.

Die gebürtige Norwegerin Anne Holt wuchs in Norwegen und den USA auf. Sie schreibt gutes, zügiges, fast amerikanisches Thriller-Handwerk. Gleichzeitig weisen ihre Charaktere jene Vielschichtigkeit auf, die man an skandinavischen Krimiautoren schätzt und bei amerikanischen Autoren so selten findet. Ihre genaue Kenntnis der Interna von Geheimdienstarbeit rühren übrigens von einem Intermezzo als norwegische Justizministerin.

Obgleich „Die Präsidentin auch Polit-Thriller ist, vermeidet Holt die größte Falle unserer Tage: Sie lässt sich nicht auf das Klischee vom muslimischen Terrorführer im fernen Arabien ein, das doch so nahe liegt, seit dem 11. September. Mehr sei nicht verraten. Selber lesen! Es lohnt sich.