Spüren Sie sie, die Leidenschaft? Wie sie aus dem klebrigen Sumpf der Liebesromane kriecht? Wie sie durch alle Sparten der Medien schleimt? Das Nicht-Wort Leidenschaft, das in Arzt- und Heimatromanen Verwendung fand, wo Deftigeres die Tugendwächter auf den Plan gerufen hätte, es wirbt heute unter anderem für die Deutsche Bank: „Leistung aus Leidenschaft“ heißt es dort. Als ob mir das etwas bedeutet, was ein Kreditinstitut dabei empfindet, wenn es mich um meine Ersparnisse bringt. Soll ich zu meinem Bankberater gehen und fragen: „Was haben Sie dabei empfunden als meine Lehman-Zertifikate geplatzt sind?“ Was, wenn sich des Bankmenschen Blick verklärt und er haucht: „Ich wäre fast gekommen…“ Was dann?
„Leistung aus Leidenschaft“ – das könnte sich jeder Autohersteller auf die Fahnen schreiben. „Leistung aus Leidenschaft“ – das könnte jeder Lebensmitteldiscounter in den Prospekten für sich reklamieren, die mir aus der Zeitung entgegenfallen. Das könnte für eine Eisdiele stehen, die auf Flugblättern für einen Billig-Eisbecher wirbt. Das könnte für die Bundeswehr stehen wie für einen Handyshop in der Brandenburger Innenstadt, und die „Leidenschaft“ steht für die Softpornos im Wochenend-Nachtprogramm von Vox.
Nur für eines kann die Leidenschaft nicht stehen: für eine Schwerindustriellenfamilie im wilhelminischen Deutschland. Doch genau damit wirbt das ZDF für seine History-Soap „Krupp – Eine deutsche Familie“: „Stahl. Macht. Leidenschaft“ – stammt dieser dissonante Dreiklang der Banalitäten von ZDF-History-Papst Guido Knopp? Werden wir vorsichtig darauf vorbereitet, dass uns jetzt bald ganz neue History-Reihen drohen? Vielleicht unter einem Titel wie „Blitzkrieg und Leidenschaft: Hitler – ein deutscher Führer“?
Zunächst erkennen wir an der Werbekampagne für „Krupp – eine deutsche Familie“ lediglich, dass das ZDF glücklich Sat.1-Niveau erreicht hat. Warum auch nicht? Hat nicht Sat.1 schon mit Filmen über Bomben und Leidenschaft über Liebe in der Dresdener Bombennacht Quote gemacht? Was wird uns noch erwarten? Napalm und Leidenschaft (über den Vietnamkrieg)? Wirklich gruselig wäre „Helmut Kohl – Kanzler aus Leidenschaft“.?
Irgendwann wird man gleich die Schulgeschichtsbücher so schreiben, dass sie sich wie Arztromane lesen. Im Schatten der Leidenschaft wird alles gefühlig harmlos: Varusschlacht und Kreuzzüge, Gaskrieg Holocaust und Stasi. Hauptsache Leidenschaft, dann sind die sechs Millionen Toten zwischendurch nicht schlimmer als die Werbepause mit ihren Heerscharen von Werbespots voll Leistung aus Leidenschaft.
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