„Zugestiegene Fahrgäste, bitte die Fahrkarten!“ So heißt es seit Jahr und Tag in den Sardinenbüchsen der Deutschen Bahn. Nicht so am vergangenen Freitag im Intercity von Norddeich-Mole nach Cottbus. „Zusteiger, bitte die Fahrkarten“, rief da der Schaffner… oder nennt man den heute nur noch Zugchef. Ach nein, der Chef trägt ja am Ärmel die Kapitänsbinde. Also, der Zugbegleiter. Obwohl er ja den Zug nicht begleitet. Denn der Zugbegleiter läuft ja nicht an der Leine bei Fuß neben dem Zug her und bittet, dass man ihm die Fahrkarten aus dem Fenster reiche. Er begleitet also die Reisenden, nicht den Zug. Und wenn er die Reisenden nur begleitet, was gehen ihn dann die Fahrkarten an? Sie sehen schon, der Zugbegleiter hätte alles Recht, selbst als Phänomen des Alltags behandelt zu werden. Doch diesmal geht es um den „Zusteiger“.

Was ist das, ein Zusteiger? Ist das einer, der immer zusteigt? Nie als erster Im Zug? Nie Trendsetter, sondern immer nur Mitläufer? Wenn der Zusteiger einsteigt, dann sitzen da schon tausend andere und sagen: „Ätsch! Ich bin schon da!“ Doch entweder reicht ihm das, dem Zusteiger, oder er ist nicht fähig Führungsaufgaben zu übernehmen. Er ist die graue Masse. Aber wodurch wird der Zusteiger zum Zusteiger? Der Weg zum Zusteiger führt – wie alle Karrierewege in Deutschland – jedenfalls über Qualität oder Qualifikation. Siehe: das deutsche Schulsystem. Auch hier werden Karrierechancen nach Herkunft verteilt. So wird der Mensch auch zum Zusteiger nicht durch eigenes Vermögen, sondern durch Herkunft. Ein Kasseler kann zum Beispiel in Zügen des Fernverkehrs nur Zusteiger sein. In Kassel beginnt nur einmal am Tag ein ICE. Alle anderen ICE, IC, EC oder sonstwasC fahren nur durch. Eine grausame Geografie hat die documenta-Stadt nun einmal in der Mitte der Republik wachsen lassen. Zweitklassig, Zusteiger eben. Aber auch die Existenz eines Zusteigers erfüllt einen göttlichen Plan. So steigt beispielsweise in Kassel immer die mobile Eisverkäuferin zu oder im Winter die mobile Brezelverkäuferin.