Jagdszenen in Mügeln: Ein aufgebrachter Mob hetzt eine Handvoll Inder durch die sächsische Kleinstadt, rechtsextreme Parolen skandierend. Bürgermeister Gotthard Deuse verteidigt seine Stadt, weil er Angst hat, Investoren oder Touristen zu verschrecken, auf die er schon seit 17 Jahren wartet. Die Bundespolitik ergeht sich hingegen in Katastrophenstimmung, und prügelt den Gemeindechef, der das Beste will und doch das Falsche tut. Denn richtig ist natürlich, dass man über Rechtsextremismus reden muss. Aber wie? So als wüte die rechte Pest nur jenseits von Werra und Elbe, wie es Politiker im Westen so gern tun? Die Neonazi-Vorwürfe reihen sich ein in eine ganze Kette von Zuschreibungen: Die neuen Bundesländer versauen das Wirtschaftswachstum, belasten die Arbeitslosenstatistik und beschmutzen mit „ihrem“ Rechtsextremismus das schicke neue Image Deutschlands. Gerade, wo dieses neue Spaßdeutschland auf der Klinsiwelle um „Fachkräfte“ aus dem Ausland buhlen will.
Wenn jedoch die „antisemitische, demokratiefeindliche Grundstimmung“ in Bayern stärker ist als in Sachsen – wie es die Netzzeitung unter Berufung auf die Friedrich-Ebert-Stiftung berichtet – wenn das also zutrifft: Warum brechen solche Albträume wie jüngst in Mügeln nicht in bayerischen Kleinstädten aus? Lassen Sie uns mögliche Gründe erörtern.
1. Die Verödung. Gerade im ländlichen Bereich und entlang der polnischen Grenze findet eine regelrechte Flucht nach Westen statt. Es bleiben diejenigen zurück, die nicht abwandern können, weil ihre Ausbildung und ihre Barschaft nicht reichen. Damit einher geht eine kulturelle Verödung, die im Westen kaum vorstellbar ist. In den Wüstungen bieten rechte Kameradschaften und die NPD gerade jungen Menschen oft die einzige Alternative zum Herumhängen.
2. Mangelnde Erfahrungen im Zusammenleben mit Menschen anderer Kulturen. Eine simples Argument. In Frankfurt am Main mit rund einem Viertel ausländischer Bevölkerung lebt man entspannter zusammen als in Frankfurt an der Oder mit gerade einmal 5 Prozent.
3. Der augenfälligste Unterschied zwischen Bayern und Sachsen liegt in der geringen Bindung zu Parteien und gesellschaftlichen Institutionen. Der Zusammenbruch der DDR-Institutionen hat ein Vakuum hinterlassen. Es fehlen vor allem solche Institutionen, die Werte vermitteln. Oft bleibt nur der Sportverein. Wie wenig der taugt, demokratische und humanitäre Werte hochzuhalten, lässt sich eindrucksvoll in deutschen Fußballstadien miterleben (nicht nur im Osten). Die Kirchen haben keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung. Auch CDU, SPD, Grüne und FDP sind dem Bürger immer fern geblieben. Einzig die Linkspartei ist in den neuen Bundesländern verankert – obwohl oder gerade weil in ihr ein Stück alte DDR überlebt hat.
Was all dies nicht erklären kann, ist das unheimliche Fehlen von Mut bei den Mügelner. Kein Bürgermeister verfügt über genug Phantasie, uns zu erklären, wie 50 zugereiste Glatzen ein Festzelt betreten und dort die Inder angegriffen haben sollen. Da müssen schon zwei oder drei Mitbürger von Gottfried Deuse mitgemacht haben. Aber gehen Sie in sich: Wie würden Sie reagieren? Mügeln ist ein Aufruf an uns alle, das Maß unserer eigenen Courage zu hinterfragen. Vielleicht hat nicht nur Mügeln Glück gehabt, dass die Inder sich in eine Pizzeria retten konnten und ein Blutbad ausblieb. Vielleicht haben wir alle bisher Glück gehabt, dass in bayerischen, hessischen oder westfälischen Festzelten diese explosive Mischung aus Alkohol und dumpfem Fremdenhass noch nicht eingetreten ist.
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