Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2025 von Wolff von Rechenberg
Arbeiten bis 70? Für viele Babyboomer eine Kriegserklärung. Warum ist das so? Werfen wir einen Blick ins Innere einer Generation, die im Augenblick an ihrem Lebenssinn zweifelt.
„Wie lange musst du noch?“
„Wie lange müsst ihr noch?“ Thorsten* wirft die Frage als Erster in die Runde. Das Thema beschäftigt alle Männer am Tisch in der Kneipe. Schnell rattern sie Zahlen herunter: „Noch drei Jahre und sechs Tage“, antwortet Jürgen. „Mann, das ist hart“, schaltet sich Karsten* ein: „Ich kann nächstes Jahr schon in Altersteilzeit.“ Wo und wann immer ich in einem Kreis gleichaltriger Freunde sitze, erlebe ich Gespräche, wie dieses. Wir sind eine Generation auf der Zielgeraden ihrer Arbeitsbiographie. Nur noch wenige Jahre, Monate, Tage bis zum Renteneintritt, den die Männer in der Runde herbeisehnen wie das Paradies .
War das nicht immer die Verheißung? Dass am Ende eines Lebens voller Aufopferung für die Firma, die Karriere oder das Amt, dass danach ein ruhiger Lebensabend für alle Leiden belohnt? Verwirf deine Wünsche und Träume! Geh die Extrameile! Halte durch, auch wenn dich dein Job ankotzt. Dafür erwartet dich Erlösung in der Rente!
Die Rente, das gelobte Land
Dieses Versprechen leuchtet uns auch am Ende unseres Erwerbslebens den Weg. Es überstrahlt für einen Augenblick die zahlreichen Wehwehchen unserer Generation: Kaputte Familien, Bluthochdruck, Prostataleiden, Rückenschmerzen und kaputte Knie.
Doch jetzt, da wir dieses Paradies schon fast mit Händen greifen können, da droht es vor unseren Augen zu zerbrechen: Dem Land gehen die Arbeitskräfte aus. Wir, die wir unseren Teil des Vertrags eingehalten haben, die wir alles gegeben haben, damit wir vielleicht im Alter endlich genießen können. Wir sollen stattdessen länger arbeiten?
Arbeiten bis 70? Nicht mit uns!
Was werden wir darauf wohl antworten? Arbeiten bis 70? Nicht mit uns! Wir haben für die Arbeit so viel Zeit mit Kindern und Familie geopfert! Viele von uns haben gar auf eine eigene Familie verzichtet. Nur für den Job! Wir haben durchgehalten in einer Arbeitswelt, die uns nicht geschont hat. Wir haben uns Leben, Freude und Gesundheit vom Mund abgespart, um unseren Teil des Gesellschaftsvertrags eingehalten. Und jetzt sollen wir auf die verheißene Belohnung verzichten?
Die Arbeitswelt besenrein
Man schmäht uns Babyboomer oft als Egoisten, dabei haben sich nur wenige von uns ihr Leben so gewünscht, wie es verlaufen ist. Wir hätten gern mehr Zeit mit unseren Familien verbracht, mehr Kinder gezeugt oder geboren und uns besser um uns selbst gekümmert. Doch das haben wir nicht. Weil wir stets den Druck eines Millionenheers von Arbeitslosen im Nacken gespürt haben, das jeden von uns entbehrlich gemacht hat.
Wir Babyboomer hinterlassen eine leergefegte Arbeitswelt. Besenrein, wie wir es gelernt haben. Was wird bleiben von einer Generation, die immer funktioniert hat?
*Alle Namen erfunden!
Schreibe einen Kommentar