899 Millionen Euro Strafe soll Microsoft zahlen. Rekord! Damit haben Europas Wettbewerbshüter den Vogel abgeschossen! In Dollar hört sich das noch eindrucksvoller an: 1,35 Milliarden US-Dollar! Da sich ein Wiedererstarken der US-Währung derzeit nicht abzeichnet, sollte Steve Ballmer lieber schnell das Scheckbuch zücken. Der Dollar spielt gegen ihn. Es geht um zu hohe Lizenzgebühren, die Microsoft von Softwareentwicklern verlangt haben soll. Vernachlässigen wir die Einzelheiten, die können Sie hier nachlesen. Es geht um eine alte Rechnung aus dem Jahr 2004. Aus einer Zeit, in der sich der Softwarekonzern auf dem Zenith seiner Macht befand. Ohne Windows ging damals nichts. Oder zumindest nahm man Alternativen wie Linux oder Apple damals noch nicht zur Kenntnis. Damals glaubte Microsoft, sich über alle Wettbewerbsrichtlinien hinweg setzen zu können.

Nicht nur Microsoft fragt angesichts der horrenden Summe: Ist das gerecht? Ist das nötig?Kein Zweifel: Verdient hat der Konzern die Bußgelder durch seine Allmachtsphantasien in der Vergangenheit allemal. Matt Asay stellt auf C-Net eine andere Frage: Ist das zielführend? Die EU-Kommission hat ein berechtigtes Interesse an gesundem Wettbewerb. Aber was haben die Millionenklagen bewirkt, die die Wettbewerbshüter im vergangenen Jahr gegen Microsoft gewannen? Sie haben zum Wettbewerb nichts beigetragen. Google braucht keine Wettbewerbshüter, um Microsoft im Internet zu deklassieren.

Der Gedanke geht in die Richtung, die ich selbt an dieser Stelle schon einige Male vertreten habe: Keine Angst vor Microsoft! Die Anzeichen für ein Wanken des Riesen mehren sich. Ich schreibe dieses Posting auf einem Asus Eee-PC. Das kleine Wunderwerk verfügt gar nicht über die Ressourcen, ein Windows XP zu stemmen. Dafür ist es konkurrenzlos günstig (299 Euro), und Asus hat nach eigenen Angaben in den ersten vier Wochen 30.000 Stück verkauft. Die Leute fragen gar nicht nach Windows. Der Eee-PC ist da, er funktioniert, besitzt eine vorbildlich simple Benutzeroberfläche und kann das, was 99 Prozent der User von einem PC erwarten. Er besitzt ein Office-Paket (Open Office, was sonst), man kann im Internet surfen, wann immer WLAN zur Verfügung steht, man kann E-Mails empfangen und versenden, Fotos anschauen, MP3s hören, Videos glotzen. Wann in den letzten Wochen haben Sie mit einem PC mehr gemacht?

Der Markt hat sogar eine neue Kategorie für solche Geräte erfunden: Mobile Internet Devices (MIDs) nennt man die kleinen Surfbretter, die auch in der Damenhandtasche nicht zu sehr auftragen. Es gib sie auch mit Windows. Aber dann sind sie so teuer wie große Laptops. Der Computer-Forscher Don Norman sagt im Spiegel-Internview: „Viele Leute brauchen gar keine Computer.“ Ich gehe noch etwas weiter: Die wenigsten Leute brauchen Computer. Aber Microsoft ist wegen der Gefräßigkeit seines Vista auf Computer angewiesen. Obwohl Handys heute fast genauso viel können. Auf Handys kämpft Microsoft – aber auch Linux – gegen Nokias übermächtiges Symbian an. Mit Sony Ericsson hat sich nun zum ersten Mal ein Top-Hersteller zum Einsatz von Windows Mobile 6 durchgerungen. Nokia tendiert im Augenblick zu offenen Standards, zu Google und Linux.

Die Entwicklung bei den MIDs hätte Microsoft vorhersehen können. Der Notebookmarkt boomt nämlich erst, seit er technisch stagniert. Noch immer findet man in günstigen Laptops Prozessoren unter 2 Ghz, Festplatten von 80 GB und RAM von unter 1 GB. Diese Computer können mit Windows XP genau das, was die User erwarten: Schreiben, Mailen, Surfen, Chatten, MP3, Video. Das Problem: Als der Konzern vor fast einem Jahrzehnt mit der Entwicklung von Vista begann, sah es so aus, als sei der Hunger der User nach immer schnelleren PCs ein Naturgesetz, so unumstößlich wie die Schwerkraft. Heute sind selbst ausgemachte Action-Spieler keine sicheren Kunden mehr für das Mehr, Schneller, Teurer der Computerindustrie – und von Windows.

Noch ein Versäumnis des Dinosauriers Microsoft: Entwickler. In all den Jahren seit deem endgültigen Durchbruch mit Win95 ruhte die Popularität von Microsoft nicht nur auf den Schultern der hauseigenen Entwickler. Kleine und große Entwickler bastelten die Anwendungen für Windows. Innovative, wie nutzbringende. Windows hat sich nicht nur durch rüdes Marketing gegen MacOS durchgesetzt. Es war auch die Freiheit, die Vielfalt der Programme – in der Anfangszeit, wohlgemerkt. Wer etwas ausprobieren wollte, der musste es für Windows ausprobieren. Doch der Spaß war teuer, denn ohne Lizenz ging gar nichts. Jetzt muss Windows mit Open Source Projekten konkurrieren, bei denen jeder einfach mitmachen kann. Der Firefox verdankt seine Popularität nicht der besseren Codebasis, sondern den unzähligen Erweiterungen, mit denen er sich erweitern lässt. Wieviele Add-ons gibt es eigentlich für den Internet Explorer 7?

Apropos Browser: erinnern wir uns an den Browserkrieg Mitte der 1990er Jahre, in dem Microsoft den Sieg über Netscape davon trug. Microsoft hat gesiegt, weil der Internet Explorer in Windows 95 bereits fix und fertig installiert war. So steht es in den Geschichtsbüchern. Ich gehöre zu den Älteren, die das Internet zu Zeiten des Browserkriegs erlebt haben. Ich erinnere mich sehr wohl, dass der Internet Explorer auch ein klein wenig flotter im Seitenaufbau war als der Netscape. Microsoft besaß die Mittel – auch die peronellen -, um mit Netscape gleichzuziehen. Das Blatt wendete sich erst als fast auf den Tag vor zehn Jahren Netscape den halbfertigen Communicator 5.0 der Open Source-Bewegung überantwortete. Ähnliches gelang Sun später mit Star Office. Erst die freie Version Open Office konnte Microsofts Office-Paket das Fürchten lehren.

Heute droht Microsoft gegen den Firefox auf verlorenen Posten zu geraten. Noch eindrucksvoller dokumentieren sich Microsofts Grenzen im Internet. Gegen Google kämpft Microsoft einen aussichtslosen Kampf in der Nische. Microsoft fällt gegen Google nichts Besseres ein als in der größten Firmenübernahme der Internetgeschichte den Internet-Pionier Yahoo zu übernehmen. Warum? Was sollen die beiden Firmen gegen Google ausrichten, was ihnen getrennt voneinander noch nicht gelungen ist? Es geht vor allem um die Entwickler, sagt Microsoft.

Dabei kann Yahoo deshalb auf eine so gute personelle Infrastruktur zurückgreifen, weil das Unternehmen sich von Anfang an an offenen Standards orientiert hat. Das bedeutet für Microsoft: Da Yahoos Konzept der offenen Programmierstandards kaum ins Betriebsklima von Redmond passt, wird schon bald nach der Übernahme ein Exodus der Kreativen einsetzen. Microsoft stünde mit leeren Händen da. Sollte sich Microsoft aber öffnen können, warum tun sie es dann nicht, machen sich attraktiv für freie Entwickler und nehmen aus eigener Kraft den Kampf mit Google auf? In beiden Fällen wären die 40 Milliarden Dollar für Yahoo verschwendet. Das Dilemma lässt ahnen, wie groß die Verzweiflung im Hause Microsoft ist.

Für all dies hat es keine Regulierung des Wettbewerbs gebraucht. Es hat nur einen Konzern gebraucht, der den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln der 90er begegnet. Tim O’Reilley, der als der Schöpfer des Begriffes „Web 2.0“ gilt, sagt in einem Interview mit dem Stern: „Genau wie der PC das Großrechner-Monopol zerstört hat, das IBM einst genoss, wird Gratissoftware aus dem Internet das Monopol von Microsoft zerstören. Aber Geld verschwindet nicht, es geht nur woanders hin. Firmen werden Wege finden, Geld zu verdienen, indem sie Datenbanken kontrollieren und Informationsdienste anbieten.“

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