Kategorie: Ansichtssache

Die Welt aus meiner Sicht

Eurovision Song Contest

Gerade rechtzeitig zum rumänischen Beitrag reingezappt: Bauerntechno vom Balkan. Stimme des Sängers geht in Ordnung, der Song nicht. Zum Ende der Nummer  noch schnell ein Tonartwechsel. Da hat sogar der Komponist vor der selbst verzapften Langeweile kapituliert. Der Moderator zählt das Lied gleichwohl zu den Favoriten. Mir wird schlecht.

Es folgt Bosnien: Schönes Lied zu akustischen Instrumenten. In Landessprache, daher chancenlos. Litauen beweist mit einer zu spät geborenen Van Halen-Nummer, dass Rumänien im Wettbewerbskriterium Langeweile noch zu schlagen ist. Einer der Sänger sieht aus wie mein Geldberater bei der Sparkasse. Mir ist immer noch schlecht.

Die Akte JJ2

Im deutsch-österreichischen Grenzgebiet wurde ein Braunbär gesichtet. Forscher rechnen damit, dass er in die Bundesrepublik einwandern wird. Der letzte deutsche Braunbär soll 1835 bei Ruhpolding erlegt worden sein.

Foto: Wikimedia Commons

Während der Biologe schon frohlockt, wiegt der Beamte bedächtig das sorgenumwölkte Haupt. Der Bär würde ja aus Österreich einwandern, also über einen sicheren Drittstaat. Damit verlöre er jeden Anspruch auf Asyl. Anders sähe die Sache aus, wenn der Bär ein waschechter Österreicher wäre. Dann stünde ihm als EU-Einwohner natürlich freie Wahl von Wohnort und Arbeitsplatz zu. Damit wäre der Bär einer von uns. Bis auf wenige Ausnahmen: Er verfügt beispielsweise weder über aktives noch passives Wahlrecht bei der Bundestagswahl.

Mit Hochdruck arbeiten Experten an der Identifizierung des fraglichen Tiers. Die Netzzeitung berichtet wörtlich: „Derzeit wird eine DNA-Probe analysiert, die Aufschluss über die genaue Herkunft des Tieres geben soll. Man vermutet, dass es sich um JJ2 handelt. Dieser Bär war bereits im letzten Jahr in der Schweiz und in Tirol beobachtet worden.“ So heißt er also? JJ2? Könnte man doch nur alle wanderwilligen Südländer so genau verfolgen…

Nach dem Gentest wird man sehen müssen, ob die Akte JJ2 sich zu einem Fall für die Ausländerbehörden entwickelt, oder zu einem für das Einwohnermeldeamt. Noch ein Ziel hat die Überprüfung des genetischen Fingerabdrucks von JJ2: Man weiß, wohin man den Bären abschieben muss, wenn ein möglicher Asylantrag abgelehnt würde, woran überhaupt kein Zweifel bestehen kann. Papiere hat JJ2 natürlich keine dabei, aber das ist man ja von Zuwanderern gewohnt: Einfach den Perso aufessen, um dem deutschen Staat die Abschiebung schwer zu machen.

Wenn er Bleiberecht erhielte, wenn er also EU-Ausländer wäre oder irgend etwas kann, was wir gerade brauchen (Programmieren? Spargel stechen?), dann könnte er natürlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. In diesem Fall müsste er alle deutschen Mittelgebirge und alle Zuflüsse der Donau mit Namen kennen, er müsste detaillierte Kenntnisse der deutschen Geschichte besitzen und die deutsche Sprache gut genug beherrschen. Dann wollen wir ihn gern bei uns aufnehmen. Bei Österreichern haben wir uns damit ja nie schwer getan. Dem prominentesten zugewanderten Österreicher haben wir seinerzeit sogar die Staatsbürgerschaft hinterhergetragen, weil er sonst nicht unser Führer hätte sein können. Der war übrigens auch braun.

Aufregung im Disneyland

Ein ehemaliger Regierungssprecher wie Uwe Karsten Heye sollte wissen, was los ist, wenn er farbigen WM-Besuchern davon abrät, nach Brandenburg zu reisen – unabhängig davon, ob er Recht hat oder nicht. Die Wellen schlagen hoch: Die Brandenburger sehen ihr sicherlich ehrenhaftes Engagement gegen rechte Gewalt untergraben. Einige andere bestätigen, was auch Ausländer in Deutschland wissen: Es gibt Gegenden, die man meidet. Das weiß man auch im Ausland, denn Reisewarnungen kursieren beispielsweise auch in Afrika.

Was mich zum Kotzen bringt, sind die Schäubles dieser Welt, die um ihr Disneyland fürchten, das sie für die WM-Besucher aufbauen wollen: Die Welt zu Gast bei Freunden. Dabei haben 30 Jahre Ausländer-Raus-Wahlkämpfe der Union keineswegs dazu beigetragen, in Deutschland eine weltoffene Gesellschaft zu fördern.

Beispiel Einbürgerungsdebatte: Der Einbürgerungswillige soll Sprach- Geschichts- und was weiß ich für Kenntnisse vorweisen. Dabei ist die Debatte so überflüssig wie ein Kropf. Generationen von Innenministern haben in den vergangenen Jahren immer wieder erstaunt festgestellt, dass die Nachfrage nach der deutschen Staatsbürgerschaft gegen Null tendiert. Selbst bei Migranten der dritten Generation, deren Eltern bereits hier zur Welt gekommen sind.

Wen wundert das? Angesichts politischer Diskussionen, in denen die Unionsparteien a priori einen Lehrsatz immer vor sich hertragen: Der Deutsche will keine Ausländer!

Ganz Deutschland für einen Euro

Hartz IV-Empfänger sollen bei Daimler die E-Klasse bauen. Grund: Seit vergangenem Herbst hat Daimler-Chrysler 7800 Stellen abgebaut. Jetzt beginnt die Urlaubszeit, und da wird es dünne an den Bändern. Was sich wie ein Witz anhört, steht bei Spiegel-Online, und daher muss man es wohl glauben.

Die Nachricht passt zur vernichtenden Bilanz der rotgrünen Arbeitsmarktreformen: Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, die Ein-Euro-Jobs schießen ins Kraut und der Verwaltungsaufwand gleich mit. Drehen wir den Gedanken weiter:

Wir stehen morgens auf, frühstücken Muckefuck (Bohnenkaffee ist unerschwinglich geworden). Wir stempeln im Bus die Fahrkarte ab, die wir jeden Monat von der Arbeitsagentur geschenkt bekommen, und fahren an unseren Ein-Euro-Job. Selbstverständlich ist der Busfahrer Ein-Euro-Jobber. Fast alle sind Ein-Euro-Jobber. Den Staatsdienst haben die meisten sich gleichwohl anders vorgestellt.

Wir fahren mit etwas Wehmut im Herzen, weil wir heute unseren letzten Tag in diesem Ein-Euro-Job haben. Danach müssen wir wieder auf unseren unbequemen Plastikstuhl auf dem ungastlichen Flur der Arbeitsagentur. Dort sitzen wir dann und hoffen, dass uns der nette Arbeitsvermittler (Sie ahnen schon: Ein-Euro-Jobber wie wir) den nächsten befristeten Ein-Euro-Job vermittelt.

Na, jedenfalls sitzen wir am Fenster, sehen die Stadt an uns vorüber ziehen. Im Radio laufen die Nachrichten: Die Kanzlerin mahnt, dass die Inlandsnachfrage zu schwach ist, und wir müssen uns ein bitteres Lachen verkneifen. Das verkneifen wir uns schon deshalb, weil wir schon im zarten Alter von 37 Jahren keine Zähne mehr in der Kauleiste haben. Wer hat schon Geld für die Dritten? Immerhin hat die Politik Zahnersatzimporte aus China gestattet, damit sich wenigstens Zahnersatz leisten kann, was von der Mittelschicht noch übrig ist.

Im Büro angekommen, werden wir rührseelig verabschiedet. Der Geschäftsführer (Jahreseinkommen: 238 Mio. Euro, privat versichert, neben dem Prokuristen der einzige Festangestellte in der ganzen Firma) lobt unsere Arbeitsmoral und schenkt uns eine Flasche Faber-Sekt. Wir sind gerührt, weil in unseren Einkommensschichten Leimschnüffeln sonst das einzige erschwingliche Suchtmittel ist.

Nach dem 12-stündigen Arbeitstag fahren wir wieder nach Hause und freuen uns, dass das Leiden bald ein Ende hat, weil die durchschnittliche Lebenserwartung in der Unterschicht (ca. 73,4 Prozent der Bevölkerung) mittlerweile auf 43 gesunken ist. Der Verstand geht noch etwas früher, wegen der Leimschnüffelei.

Und dann wird es doch noch ein schöner Tag: Im Radio hören wir, dass wir jetzt Einkaufsgutscheine erhalten – geschenkt! Wahnsinn! Die Regierung will den privaten Konsum dadurch stützen. Wer soll das eigentlich bezahlen? Egal! Die Drei-Prozent-Defizit-Grenze der EU haben wir schon im vergangenen Jahr ums Zehnfache überschritten. Aber wegen der Gutscheine wird der Staat am Ende noch Unternehmen besteuern müssen und den Geländewagen-Freibetrag für Spitzenverdiener streichen. Wir wiegen unser Haupt und fragen uns angstvoll, ob das nicht dem Standort Deutschland schadet.

Der steckt ernsthaft in der Krise. Zwar kehren massenweise Unternehmen aus China zurück, weil wir mittlerweile das einzige Land auf dem Planeten sind, in dem der Steuersatz zu niedrigen Einkommen hin ansteigt. Aber alle Wirtschaftsverbände kritisieren drei Dinge bei uns:

1. Die katastrophale Inlandsnachfrage.

2. Das schlechte Ausbildungsniveau. Die Schulen sind schlecht, weil dort unterrichtet, was auch immer gerade für einen Euro die Stunde parat steht. Die Studiengebühren liegen hoch im vierstelligen Bereich, und mittlerweile muss man selbst für einen Ausbildungsplatz in einer Bäckerei Geld mitbringen. Außerdem meint die Industrie, Ausbildung sei Aufgabe des Staates.

3. Den schlechten allgemeinen Gesundheitszustand. Die Krankenkassen sind schon vor Jahren in Konkurs gegangen. Außerdem schnüffeln wir ja alle Lösungsmittel. Deshalb hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium eine Kampagne gegen das Leimschnüffeln gestartet. Motto: „Lass dich nicht leimen – lern‘ saufen und rauchen“. Prost!

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